Die Kraft der Verantwortung
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Die Kraft der Verantwortung

Über eine Haltung mit Zukunft

Ina Schmidt

  1. 272 pages
  2. German
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Die Kraft der Verantwortung

Über eine Haltung mit Zukunft

Ina Schmidt

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Ob es um das Klima geht, um Politik, die Arbeit oder die Beziehung: In all unseren LebenszusammenhĂ€ngen ist verantwortungsvolles Handeln gefordert. Doch was bedeutet das, wie ist ein solches Handeln motiviert und warum stehen wir ĂŒberhaupt in der Verantwortung? Und was ist zu tun, wenn unsere Verantwortlichkeiten uns ĂŒberfordern oder miteinander in Konflikt geraten?Die Philosophin Ina Schmidt setzt diesen Verunsicherungen den Versuch einer KlĂ€rung entgegen. Sie begreift Verantwortung als ein uns innewohnendes Streben, das Gute zu wollen und zu tun, als eine soziale Praxis. Ihre Voraussetzung ist Freiheit – und ein zugeneigtes VerhĂ€ltnis zur Welt und zu den Menschen. Damit wird Verantwortung zur Kraftquelle fĂŒr das Individuum und die Gesellschaft.Wie wir im Zusammenspiel von kritischem Denken, guten GrĂŒnden und emotionalem SpĂŒrsinn die Kraft der Verantwortung nutzen können, um fĂŒr eine gelingende Gegenwart und Zukunft Sorge zu tragen, zeigt Ina Schmidt in diesem so klugen wie lebensnahen Buch.

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Informations

Année
2021
ISBN
9783896845825
Édition
1
1. KAPITEL
Was heißt Verantwortung?
»Wir waren jene, die wussten, aber nicht verstanden, voller Informationen, aber ohne Erkenntnis, randvoll mit Wissen, aber mager an Erfahrung. So gingen wir, von uns selbst nicht aufgehalten.«
ROGER WILLEMSEN, »WER WIR WAREN. ZUKUNFTSREDE«
Wie aber fangen wir an? Warum fÀllt es uns so schwer, das Richtige im Möglichen zu erkennen, und selbst wenn wir es erkennen, warum tun wir es dann nicht einfach?
Manche Dinge sind leichter richtig zu machen als andere. Wir ĂŒbernehmen Verantwortung, wenn wir unsere Kinder pĂŒnktlich zur Schule bringen, unsere Arbeit gewissenhaft erledigen und das Billigfleisch im Supermarkt liegen lassen. Aber vielleicht könnten unsere Kinder auch ganz allein zur Schule gehen, unsere Arbeit könnte sich noch viel wichtigeren Fragen des Lebens widmen und den Supermarkt sollten wir eigentlich ganz links liegen lassen und auf den Bioladen eine Querstraße weiter umsteigen. Was ist wie verantwortungsvoll, was ist genug und was eigentlich nur eine bequeme Ausrede? Verantwortung kommt irgendwie immer darauf an – aber worauf eigentlich? Das Richtige ergibt sich oftmals aus dem Zusammenhang, sodass man nicht auf eine einfache Handlungsanweisung hoffen kann. Also brauchen wir als Individuen die FĂ€higkeit herauszufinden, worauf es ankommt, um verantwortlich zu handeln.
Erkenntnis ist in vielen FĂ€llen nicht das Problem: Die Einsicht, dass es im Hinblick auf eine ganze Reihe von Herausforderungen dringend an der Zeit ist, verantwortlich zu handeln, ist wahrlich nicht neu und alles andere als ĂŒberraschend. Seit Jahrzehnten mahnen Forscher und Wissenschaftlerinnen unterschiedlichster Disziplinen, dass wir auf begrenztem Raum mit begrenzten Ressourcen leben, und dieses Wissen hat mittlerweile jeden von uns erreicht. Kohle wĂ€chst nicht nach und Bienen fressen keine Steine.1 Manche Dinge sind sehr einfach. Daten und Fakten sprechen eine eindeutige Sprache, und wir können uns kaum mit dem Hinweis auf die KomplexitĂ€t eines Zusammenhangs herausreden. Denn so komplex die Antworten sein mögen, die wir finden mĂŒssen, um Lösungen zu entwickeln, die die globalen Probleme unserer Gegenwart in den Blick nehmen, so einfach ist die Erkenntnis, dass wir nicht so weitermachen können wie bisher.
Also was ist zu tun und wer entscheidet darĂŒber? Eben hier beginnt die Uneinigkeit. Verantwortungen werden willig ĂŒbernommen oder hin- und hergeschoben, europĂ€ische Lösungen sollen gefunden werden, wĂ€hrend andere nationale AlleingĂ€nge anstreben, und globale Einigungen sind oftmals in weiter Ferne oder unmöglich. Daran lĂ€sst sich wunderbar verzweifeln, und wir alle kennen die GesprĂ€che unter Freunden oder Kollegen, bei denen die Köpfe ĂŒber die Entscheidungen »der Politik« oder dieser oder jener Institution geschĂŒttelt werden. Verantwortung scheint in solchen Situationen viel mit Ämtern, Rollen und ZustĂ€ndigkeiten, mit gesetzlichen Vorgaben und Einzelinteressen zu tun zu haben. Wir, die wir vielleicht kein Amt bekleiden und keiner Institution angehören, glauben dann, uns darauf beschrĂ€nken zu können, uns in solchen GesprĂ€chen ĂŒber den bedauerlichen bzw. bedrohlichen Zustand der Welt auszutauschen. Aber sofern wir die Idee ernst nehmen wollen, dass jede und jeder von uns ein zur Verantwortung begabtes Wesen ist, das ZusammenhĂ€nge herstellen und aus Alternativen wĂ€hlen kann, gehen die Möglichkeiten, die wir haben, darĂŒber hinaus.
Der Philosoph Karl Jaspers, der im letzten Jahrhundert mahnende Worte beim Aufbau der jungen Bundesrepublik fand, war sicher, dass Verantwortung nur im Handeln, in ganz konkreten Momenten der Entscheidung sichtbar wird, dann also, wenn wir uns in einem bestimmten Moment, aus gutem Grund fĂŒr etwas entscheiden, das wir fĂŒr richtig halten. Und wir, das ist jeder von uns.2 Allerdings – und dieser Einwand ist so ebenso einfach wie richtig: Wir wissen nicht, ob das, was wir fĂŒr richtig halten, uns auch an das Ziel fĂŒhrt, das wir fĂŒr notwendig halten. Wenn wir also darĂŒber sprechen, wer warum welcher Verantwortung nicht nachgekommen sein mag, sein Amt einfach niedergelegt hat oder unverantwortlich mit Steuergeldern umgegangen ist, fangen wir bereits im diskursiven Akt an, ganz konkret zu werden. Worum geht es, was verstehen wir im zur Diskussion stehenden Zusammenhang unter Verantwortung und welche Alternative wĂ€re aus welchen GrĂŒnden die bessere gewesen? Wie können wir etwas beurteilen, welches Wissen ist vonnöten und wo liegen die Grenzen dessen, was wir verantwortungsvoll zu regeln versuchen? Verantwortung ist nur so lange eine Art SelbstverstĂ€ndlichkeit, solange wir nicht nachfragen. Aber erst dann wird es konkret, und wir können herausfinden, worauf es wirklich ankommt.
Verantwortung ist die Suche nach guten Antworten
Beginnen wir mit einer konkreten Situation, in der, wie wir von Karl Jaspers gehört haben, verantwortungsvolles Handeln erst zum Ausdruck kommen kann – hier vielleicht in einer besonders dramatischen Form: Die KapitĂ€nin Carola Rackete, die im Juni 2019 mit dem Seenotrettungskreuzer Seawatch 3 nach wochenlangem Warten dreiundfĂŒnfzig libysche FlĂŒchtlinge auf die italienische Insel Lampedusa brachte, entschied sich zu dieser Handlung entgegen der Auflagen der italienischen Behörden. Die FlĂŒchtlinge hĂ€tten Italien nicht betreten dĂŒrfen. Carola Rackete machte sich strafbar, indem sie die Menschen ans sichere Land brachte, und ĂŒbernahm dafĂŒr die persönliche Verantwortung. Was aber bedeutet das in diesem Fall genau? Rackete war als KapitĂ€nin zustĂ€ndig; sie war qua ihrer FĂŒhrungsrolle diejenige, die eine Entscheidung treffen musste; zudem war sie kompetent und im Vollbesitz ihrer geistigen KrĂ€fte und damit in der Lage, den Bruch gesetzlicher Vorgaben ins VerhĂ€ltnis zu dem zu setzen, was ihrer Vorstellung nach das Richtige war. In einem Interview mit der ARD am 5. Juli 2019,3 das aufgrund von Drohungen an einem geheimen Ort in Sizilien gefĂŒhrt werden musste, erklĂ€rte sie, dass sie diese Entscheidung auf Basis der Expertise der Crewmitglieder, die die GeflĂŒchteten versorgten, abgewogen hĂ€tte, gemeinsam mit dem medizinischen Personal, das den Zustand der GeflĂŒchteten als sehr besorgniserregend eingeschĂ€tzt hatte (es gab Androhungen von Hungerstreiks und Suizidgedanken). Gleichzeitig hĂ€tten offizielle Stellen wie die libysche KĂŒstenwache erst spĂ€t und sehr zögerlich auf E-Mail-Anfragen reagiert, sodass sie ihrer Pflicht hĂ€tte nachkommen mĂŒssen, Menschen in Not zu helfen. Carola Rackete spricht von einer »Mauer des Schweigens«, auf die sie getroffen sei.
Rackete hat also auf verschiedenen Ebenen Verantwortung ĂŒbernommen: eine Rollen- und Handlungsverantwortung, die sie ihrer Eigenschaft als KapitĂ€nin in der konkreten Situation ohnehin trug; aus ihrer Entscheidung resultierend eine rechtliche Verantwortung, die dazu fĂŒhrte, dass sie die Konsequenzen eines Gesetzesbruchs zu tragen hatte; und eine moralische Verantwortung, die sie offenbar dazu bewogen hat, eine solche Entscheidung zu treffen. Rackete hat auf eine problematische Aufgabenstellung eine Antwort gefunden, die auch hĂ€tte anders ausfallen können, aber fĂŒr sie die einzig richtige gewesen ist.4
WĂ€hrend Carola Rackete also in einer Kaskade unterschiedlicher Verantwortungsanforderungen eine (fĂŒr sie) richtige Entscheidung getroffen hat, können wir am Beispiel eines anderen KapitĂ€ns sehen, dass selbst die grundlegende Handlungs- bzw. Rollenverantwortung nicht selbstverstĂ€ndlich erfĂŒllt wird. KapitĂ€n Francesco Schettino war 2012 der verantwortliche SchiffsfĂŒhrer bei der Havarie des Kreuzfahrtschiffs Costa Concordia vor der italienischen Insel Giglio, bei der er schnellstmöglich das eigene Schiff verließ, bevor fĂŒr die Sicherheit der Passagiere und Mannschaften gesorgt war. Zweiunddreißig Menschen starben bei diesem UnglĂŒck, und ein italienisches Gericht zog Schettino zu der Verantwortung, die er nicht hatte tragen wollen: Er wurde zu sechzehn Jahren Haft wegen fahrlĂ€ssiger Tötung verurteilt.5
Verantwortliches Handeln ist also keine SelbstverstĂ€ndlichkeit – es versteht sich nicht von selbst und bezieht sich auf verschiedene Ebenen des eigenen Tuns. Der Unterschied im Handeln von Carola Rackete und Francesco Schettino scheint offensichtlich: Die eine hat das Richtige getan, der andere nicht. So weit, so klar. Aber was genau bedeutet: das Richtige? Rein rechtlich hat Rackete etwas Verbotenes getan, dass es damit aber nicht notwendig auch das Falsche war, ist der Punkt, an dem die Sache interessant wird. Die Reaktionen auf die Entscheidung Racketes zeigen jedenfalls, dass es offenbar auch moralisch so einfach dann doch nicht ist, schließlich wurde sie sowohl verurteilt als auch bejubelt. Wie also finden wir heraus, was daran gut, was das Richtige ist und wer dieses Urteil fĂ€llen kann?
ZunĂ€chst können wir festhalten: In Situationen, in denen wir verantwortlich sind, mĂŒssen wir – aufgrund von Rolle, ZustĂ€ndigkeit oder Kompetenz – in der Lage sein, eine Entscheidung zu treffen (also hier: die Befehlsgewalt der KapitĂ€nin), eine Antwort zu geben oder gegenĂŒber Institutionen, der Öffentlichkeit, dem eigenen Umfeld GrĂŒnde anzufĂŒhren und uns zu rechtfertigen (die humanitĂ€re Verpflichtung, die FlĂŒchtlinge sicher an Land zu bringen).
Wir sind also – das Beispiel des FlĂŒchtlingsschiffes hat es in besonders dramatischer Weise gezeigt – in einer konkreten Situation immer verantwortlich fĂŒr etwas oder jemanden und gegenĂŒber (mindestens) einem anderen, sodass sich jede Verantwortlichkeit als eine mindestens dreistellige Relation (X ist verantwortlich fĂŒr Y gegenĂŒber Z) zum Ausdruck bringen lĂ€sst, möglicherweise sogar als vier- oder fĂŒnfstellige, wenn in diese Relationen die Normen, unter denen verantwortliches Handeln entsteht, bzw. die Adressaten, an die es gerichtet ist, hineingenommen werden (dann wĂ€re X fĂŒr Y gegenĂŒber Z verantwortlich aufgrund von A und vor B).6 Zusammengefasst bedeutet das Hinzunehmen der beiden letzten Instanzen fĂŒr unser Beispiel, dass wir unser Handeln mit einem möglicherweise idealen »Sollen« (hier: eine Welt, in der FlĂŒchtlinge nicht im Mittelmeer ertrinken mĂŒssen) abgleichen und vor der Öffentlichkeit als Praxis vertreten, die auf guten GrĂŒnden beruht. Darin können diese GrĂŒnde unterschiedlich sein, wenn wir z. B. davon ausgehen, dass fĂŒr den einen die Beseitigung der Fluchtursachen im Vordergrund steht und fĂŒr den anderen die Aufnahme von GeflĂŒchteten in DrittlĂ€ndern. Beides kann den Kriterien einer verantwortungsvollen Praxis genĂŒgen, auch wenn die Handlungen, die daraus folgen, sehr unterschiedlich sind.
Mit der Differenzierung dieser verschiedenen relationalen Ebenen sind wir also schon einen Schritt weiter im VerstĂ€ndnis dessen, was wir mit Verantwortung meinen. Jeden Tag erleben wir aber im eigenen Alltag genauso wie in Politik und Gesellschaft, dass sich diese Ebenen im Ringen um Verantwortung vermischen, unklar und diffus werden. Der Anspruch einer eindeutigen Definition ist schwer zu erfĂŒllen, wenn nicht ganz klar ist, wem welche ZustĂ€ndigkeit, Rolle oder Kompetenz zuzuschreiben ist, und welche Folgen welchen Handelns eigentlich die sind, die wir fĂŒr richtig halten oder zumindest wĂŒnschen. Oft zu schnell, unaufmerksam und intuitiv fĂ€llen wir Urteile, kritisieren, sind empört oder nicken zustimmend. Menschen treffen unbequeme Entscheidungen, nehmen Einschnitte vor, ziehen Grenzen oder mĂŒssen ganz konkret z. B. das Wohl ihrer Patienten im Auge behalten – und können dabei ebenso verantwortungsvoll wie verantwortungslos vorgehen. Aber wo können und sollten wir wirklich von Verantwortung sprechen? Ein Politiker beantwortet diese Frage anders als eine KapitĂ€nin, ein Arzt anders als eine Mutter oder eine Richterin, und in Zeiten von globalen Aufgaben und Krisen ist offenbar jeder von uns gefragt, sich zu ĂŒberlegen, wie er oder sie ein verantwortungsbewusster Teil der zivilen Gemeinschaft sein kann. Es kommt also wieder darauf an.
Muss es aber in all dem nicht auch eine universale Vorstellung des Guten geben, damit nicht jeder einfach das als das Richtige absegnen kann, was er oder sie will? Es kann doch nicht jeder Grund ein guter sein, jedes Interesse oder jede Kompetenz die Möglichkeit verantwortlichen Handelns in sich tragen, denn schließlich sind manche Haltungen und Handlungen vielleicht richtiger als andere. Diese Überzeugung – gleichwohl in der Philosophie seit der Antike nicht unumstritten – bildet die PrĂ€misse der folgenden Überlegungen: Nur wenn es grundsĂ€tzlich möglich ist, das Gute vom Schlechten zu trennen, ist es sinnvoll und notwendig, ein Verantwortungsbewusstsein auszuprĂ€gen. Könnten wir uns immer damit herausreden, dass es letztlich doch alles irgendwie relativ ist und von jedem selbst abhĂ€ngt, was er oder sie fĂŒr gut und richtig hĂ€lt, wĂ€re die Rechtfertigung des eigenen Handelns immer vom Wohlwollen und ein StĂŒck weit der WillkĂŒr meines GegenĂŒbers abhĂ€ngig. Dass es sich bei verantwortlichem Handeln um eine relationale Praxis handelt, heißt aber nicht, dass es sich nach Belieben drehen und wenden kann, sondern es zeichnet sich durch den Bezug zu dem, was darin als das allgemein gĂŒltige Gute gilt, verbindlich aus. Verantwortung hat immer etwas damit zu tun, in der Unterschiedlichkeit der Kontexte ernsthaft nach der (kontextabhĂ€ngig) bestmöglichen Antwort auf eine Frage oder eine Handlungsaufforderung zu suchen, die fĂŒr andere nachvollziehbar sein muss.
Um sich in diesen beweglichen, aber nicht beliebigen Kontexten orientieren zu können und eine eigene Perspektive auf das eigene Handeln zu entwickeln, hilft es uns nicht nur weiter, dass wir in der Lage sind, Möglichkeiten abzuwĂ€gen, sondern auch wahrhaft gute GrĂŒnde fĂŒr die Möglichkeiten anzugeben, die wir anderen vorziehen. So schreibt der Philosoph Julian Nida-RĂŒmelin in seinem Traktat zur Verantwortung, dass der eigentliche Kern der Übernahme von Verantwortung in jedem nur erdenklichen Kontext mit der menschlichen FĂ€higkeit zu tun hat, »sich von GrĂŒnden leiten zu lassen«.7 Diese GrĂŒnde lassen sich ganz unterschiedlich herleiten, um die verschiedenen Relationen und Ebenen von Verantwortung abbilden zu können: rechtlich, moralisch, wissenschaftlich, politisch etwa oder ganz persönlich. Und all diese Ebenen ziehen eigene Praktiken nach sich, vermischen sich und mĂŒssen pfadabhĂ€ngig geklĂ€rt werden.
Worauf also grĂŒndet unser Handeln? Der Karlsruher Philosoph Hans Lenk spricht von der Intention, die unserem Handeln eine Richtung gibt und damit entscheidend dafĂŒr ist, wie wir unsere Handlungen begrĂŒnden. Wir sind als Menschen in der besonderen Lage, dies tun zu können, und werden nur so einer moralischen WĂŒrde gerecht, so Lenk – eine Einsicht, die uns noch beschĂ€ftigen wird.8 In der Idee einer solchen WĂŒrde sind wir also mit der Gabe zur Verantwortung ausgezeichnet und gleichzeitig aufgerufen, eben weil wir unser Handeln von GrĂŒnden leiten lassen können. Manche dieser GrĂŒnde sind individuell und gelten nicht fĂŒr jeden, andere stehen in einem sozialen Kontext schlicht nicht zur Verhandlung, sondern haben einen unmittelbaren Bezug zu dem, was wir als das Gute begreifen.
Hier tut sich nun die schwierige Frage auf, ob wir »das Gute« als relativ oder universal auffassen können bzw. wollen – ein Streit, der seit Jahrhunderten nicht beizulegen ist. Eine Studie der UniversitĂ€t Oxford aus dem Jahr 2019 gelangt hier zu ein paar richtungsweisenden empirischen Ergebnissen. Der Anthropologe Oliver Scott Curry, der die groß angelegte Untersuchung mit weltweit ĂŒber sechshunderttausend Teilnehmern aus sechzig Kulturen leitete, kommt zu der schlichten Überzeugung: Â»Ăœberall auf der Welt teilen Menschen einen gemeinsamen Moralkodex.« Das Forscherteam von der School of Anthropology & Museum Ethnography ist ĂŒberzeugt, dass diese moralischen Verhaltensregeln sich ĂŒberall etabliert haben, wo menschliches Zusammenleben gelingen soll – unabhĂ€ngig von kulturellen oder religiösen Besonderheiten. Sieben GrundsĂ€tze werden in der Studie genannt, die immer als moralisch gut bewertet werden: UnterstĂŒtzung der Familie, UnterstĂŒtzung der eigenen sozialen Gruppe, sich fĂŒr GefĂ€lligkeiten erkenntlich zu zeigen, sich zu revanchieren, mutig zu sein, Respekt vor Vorgesetzten zu haben, Ressourcen gerecht zu verteilen und das Eigentum bzw. den Besitz anderer zu respektieren.9 Diesen moralischen Verhaltensregeln liegt offenbar etwas zugrunde, was wir als eine grundsĂ€tzliche Orientierung am Guten nicht infrage gestellt wissen wollen, so unterschiedlich das daraus folgende Handeln sein mag – so die Studie.
Diese Haltung findet sich auch in der Moralphilosophie. Der britische Philosoph Derek Parfit etwa ist davon ĂŒberzeugt, dass es Sachverhalte gibt, ĂŒber die man nicht unterschiedlicher Ansicht sein könne. So könne es z. B. keinen guten Grund fĂŒr den Klimawandel geben oder fĂŒr die Gewalt an unschuldigen Menschen. 10 Hieraus ergeben sich laut Parfit »Tatsachen«, die als GrĂŒnde fĂŒr unser Handeln anzufĂŒhren sind und die nicht von den Werten oder gar WĂŒnschen eines Einzelnen abhĂ€ngig gemacht werden können. Und diese Tatsachen gelten auch in sehr individuellen Entscheidungsmomenten, die nicht auf das große Ganze gerichtet sind.
In seinem Werk On What Matters beschreibt Parfit ein prĂ€gnantes Beispiel, um den Unterschied zwischen GrĂŒnden und WĂŒnschen deutlich zu machen: Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem brennenden Hotelzimmer eingeschlossen und mĂŒssen aus dem Fenster in einen Kanal springen, um ihr Leben zu retten. WĂŒrde ein Beobachter die Szene beurteilen, wĂ€re er sicher, dass Sie einen guten Grund hatten, aus dem Fenster zu springen, auch wenn es sicher nicht Ihr Wunsch war, dies zu tun. Der Grund ist die Bedrohung Ihres Lebens, und dieser Grund ist stĂ€rker als jeder Wunsch. – Aus diesem Bild ergibt sich etwas fĂŒr uns sehr Wichtiges, nĂ€mlich ein anderes VerstĂ€ndnis von RationalitĂ€t, weil diese GrĂŒnde nicht zwingend unserem Verstand zugĂ€nglich sein mĂŒssen. Ein Grund ist damit mehr als die Ursache eines Sachverhalts, nĂ€mlich auch die nicht immer herzuleitende oder erklĂ€rbare innere oder Ă€ußere Motivation fĂŒr das, was wir uns wĂŒnschen. Das heißt nach Parfit, dass unsere WĂŒnsche aus GrĂŒnden resultieren, damit es ĂŒberhaupt WĂŒnsche sein können – und eben diese tieferen GrĂŒnde gilt es herauszufinden.11
Die wichtige Frage hier ist, ob es – und Parfit bejaht dies – GrĂŒnde gibt, die, wie er es nennt, »objektgegeben« sind und damit MaßstĂ€be dafĂŒr bieten, dass etwas wichtig ist und nicht nur von uns fĂŒr wichtig gehalten wird. Es sind diese GrĂŒnde, die uns zur Verantwortung aufrufen, wie etwa die Wahrung der Zukunft unseres Planeten oder die Aufgabe, sich um das Wohl und Wehe geflĂŒchteter Menschen zu sorgen. In dieser Objektgegebenheit liegt fĂŒr Derek Parfit die Grundlage dafĂŒr, dass es nicht nur nicht wĂŒnschenswert, sondern auch nicht vernĂŒnftig sein kann, nur das zu tun, was wir uns als einzelner Mensch wĂŒnschen oder was unser persönliches Wohlergehen steigert: »Unser eigenes zukĂŒnftiges Wohlergehen ist nicht das höchste rationale Anliegen.«12 Es geht um mehr, und es gilt, das eigene Wohlbefinden und die eigenen WĂŒnsche zurĂŒckzustellen, um etwas anderes...

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Schmidt, I. (2021). Die Kraft der Verantwortung (1st ed.). Edition Körber. Retrieved from https://www.perlego.com/book/2359006/die-kraft-der-verantwortung-ber-eine-haltung-mit-zukunft-pdf (Original work published 2021)

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Schmidt, Ina. (2021) 2021. Die Kraft Der Verantwortung. 1st ed. Edition Körber. https://www.perlego.com/book/2359006/die-kraft-der-verantwortung-ber-eine-haltung-mit-zukunft-pdf.

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Schmidt, I. (2021) Die Kraft der Verantwortung. 1st edn. Edition Körber. Available at: https://www.perlego.com/book/2359006/die-kraft-der-verantwortung-ber-eine-haltung-mit-zukunft-pdf (Accessed: 15 October 2022).

MLA 7 Citation

Schmidt, Ina. Die Kraft Der Verantwortung. 1st ed. Edition Körber, 2021. Web. 15 Oct. 2022.