Karl Klein
Fröschweiler Chronik
Kriegs- und Friedensbilder
aus dem Jahr 1870
ErlÀuterungen zur Textedition und Kommentierung
Die kommentierte Neuausgabe folgt der 30. Auflage der âșFröschweiler Chronikâč1, die 1912 in MĂŒnchen bei der C. H. Beckâschen Verlagsbuchhandlung erschien. Diese mit Ausnahme eines PortrĂ€ts des Verfassers und einer farbigen Karte des Schlachtverlaufs im Anhang nicht bebilderte Ausgabe war gemeinsam mit den weiteren in diesem Format in den Jahren 1910 bis 1916 erschienenen identischen Auflagen die populĂ€rste. Die Ausgaben von 1910 bis 1916 â 25. bis 36. Auflage â können als âșVolksausgabenâč der âșFröschweiler Chronikâč verstanden werden. Noch heute lassen sich vor allem diese Auflagen in deutschen Antiquariaten finden. Auch die rasche Folge der Auflagen spricht fĂŒr eine besonders weite Verbreitung dieser Version der Chronik. 1911 erschien die 27. Auflage, wĂ€hrend ein Jahr danach bereits die 30. Auflage erschien; 1914 wurde bereits die 34. Auflage publiziert. 1931 gelang Karl Kleins Sohn Tim (1870â1944) eine letzte Herausgabe der Chronik beim Verlag C. BrĂŒgel und Sohn im frĂ€nkischen Ansbach.
Die PopularitĂ€t dieser Ausgaben lĂ€sst sich neben dem Inhalt auch mit dem vergleichsweise gĂŒnstigen Preis von 2 Mark 80 erklĂ€ren. Auch das Buchformat von 13,5 x 19 cm war handlich und damit ein weiteres Argument fĂŒr die weite Verbreitung dieser Ausgabe der Chronik. Diese lieĂ sich so problemlos einstecken und unterwegs bei jeder Gelegenheit lesen.
Der Einband besteht aus unempfindlichem und knickfestem hellgrau-sandfarbenen Halbleinen; das Titelbild zeigt in schwarzem Druck eine nach oben gerichtete Fackel vor dunklem Hintergrund. (Abb. 1) Sie symbolisiert die auch von Klein in der Chronik angesprochene Kriegsfackel. Zugleich war die aufrecht gehaltene Fackel in der Antike auch Symbol des Lebens, wĂ€hrend die gesenkte Fackel ein Todessymbol darstellte. Die Fackel erhebt sich ĂŒber antikisierenden ionischen Voluten; eingerahmt wird sie von zwei Palmwedeln. Der Palmzweig, in der Antike Attribut der Siegesgöttinnen Nike bzw. Victoria, ist hier sicher in christlicher Deutung als Symbol des ewigen Lebens oder auch des MĂ€rtyrertodes zu verstehen.
Abb. 1: Titeleinband der âșFröschweiler Chronikâč, 30. Auflage, MĂŒnchen 1912.
Der Titel des Buches âșFröschweiler Chronikâč2 ist in gröĂerer Schrift und in ochsenblutroter Farbe gedruckt. Kleiner und in Schwarz gedruckt finden sich Untertitel und Verlagsinformationen. Ein von zwei Linien gebildeter umlaufender schwarzfarbiger Rahmen umschlieĂt Emblem und Text. Der Kopfschnitt ist ebenfalls ochsenblutrot gefĂ€rbt. Auf dem BuchrĂŒcken ist lediglich in schwarzer Frakturschrift der Buchtitel ohne Untertitel vermerkt, wobei das âșFâč und das âșCâč im Stil mittelalterlicher Initialen rot gedruckt sind.
Das Papier des Buches ist grobes, holzhaltiges, leicht gelbliches Papier. Gesetzt ist das Buch in Frakturschrift. Lediglich französische Begriffe sind in Antiqua gesetzt. Der Text jeder Buchseite ist ebenfalls gerahmt. (Abb. 2) Vor- und Nachsatz des Buches sind schmucklos in ochsenblutrot gehalten. Nach dem eigentlichen Text folgen im Original noch zwölf Seiten mit Werbeinseraten fĂŒr weitere BĂŒcher des Verlags rund um das Thema des Deutsch-Französischen Krieges.
Dem Buch ist ein Vorwort von Tim Klein vorangestellt, das dieser bereits aus Anlass der 25. Auflage verfasst hatte. Danach folgt eine kurze Biographie Karl Kleins aus der Feder des Greifswalder Kirchenhistorikers Johannes HauĂleiter (1851â1928). Diese beiden Texte sind nicht in diese Ausgabe ĂŒbernommen worden. Auch das ursprĂŒngliche Inhaltsverzeichnis wurde nicht ĂŒbernommen.
Die Vorworte sind mit römischen Zahlen paginiert, der Buchtext selbst in arabischen Zahlen. Die AbsĂ€tze des Originals sind in der Neuausgabe ĂŒbernommen worden. SeitenumbrĂŒche werden in Klammern angegeben. Orthographische Eigenheiten der Zeit wurden beibehalten. Vor allem die GroĂ- und Kleinschreibung weicht immer wieder von heutigen Gewohnheiten ab. Im Text durch Fettoder Sperrdruck gekennzeichnete Stellen werden wie im Original wiedergegeben, wobei Sperrdruck aus FormatierungsgrĂŒnden kursiv wiedergegeben wird.
Die Illustrationen des in MĂŒnchen und Bamberg tĂ€tigen KĂŒnstlers Ernst Zimmer (1864â1924) sind der âșJubelausgabeâč der âșFröschweiler Chronikâč entnommen, die 1897 in MĂŒnchen ebenfalls bei C. H. Beck erschien. Da sie mit »15 Doppelvollbildern, 25 Vollbildern, 250 Textillustrationen und einer Karte« versehen war, konnte sie nur zu einem deutlich höheren Preis von 10 Mark erworben werden. (Abb. 3) Die Illustrationen Zimmers sind in der âșJubelausgabeâč meistens streng den passenden Textstellen der Chronik zugeordnet. Das kann hier nicht immer beibehalten werden. Dazu kommt, dass im Rahmen dieser Edition nur eine Auswahl der Illustrationen gezeigt werden kann. Die Auswahl beschrĂ€nkt sich auf die Textillustrationen: Doppelvollbilder und Vollbilder werden nicht gezeigt. Sie sind kĂŒnstlerisch konventioneller und pathetischer als die anekdotischen und zuweilen ironischen Textillustrationen.
Abb. 2: Doppelseite (S. 126/127) aus der Fröschweiler Chronik, 1912.
Abb. 3: Titeleinband der Fröschweiler Chronik, Illustrierte Jubelausgabe, MĂŒnchen 1897.
Die Kommentierungen im Folgenden beziehen sich vor allem auf Ereignisse, GegenstĂ€nde, eher unbekannte kleine Ortschaften und Personen, die nicht mehr als bekannt vorausgesetzt werden können. Leider konnte nicht mehr jede genannte Person ermittelt werden. Auch heute nicht mehr gebrĂ€uchliche oder kritisch zu sehende Begriffe und Wendungen werden erlĂ€utert, ebenso französischsprachige oder lateinische Textstellen. Bei der Frage, was man erlĂ€utert oder nicht, ist immer eine AbwĂ€gung notwendig und mancher Leser/ manche Leserin wird nicht jede ErlĂ€uterung als notwendig erachten. Wer den Kopf noch im 19. Jahrhundert hat, darf diese Anmerkungen auch gern ĂŒberlesen. [xv]
Vorwort des Verfassers3.
»Kriegs- und Friedensbilder« sind es aus den groĂen Tagen von 1870â71, vom Verfasser, als persönlichem Zuschauer, treu nach dem Leben entworfen und unserm Volk, als Beitrag zur Geschichte, in aufrichtiger Liebe gewidmet. â Sie kommen freilich spĂ€t: die Begeisterung fĂŒr Kriegsliteratur ist abgekĂŒhlt4; der Rahmen ist beschrĂ€nkt; er umfaĂt bloĂ unsere engere elsĂ€ssische Heimat; die Farbentöne sind ernst; sie werfen Licht- und Schattenstrahlen nach hĂŒben und drĂŒben. Das sind keine gĂŒnstigen Aussichten.
Indessen wahrheitsgetreue Darstellungen bei sonstiger schwerer Arbeitslast5 wollen Weile haben und behaupten auch in spÀteren Zeiten ihren historischen Wert.
Andererseits dĂŒrften diese Schilderungen auch weiteren Kreisen zeigen, wie tief der Krieg das VolksgemĂŒt bewegt und das Volksleben erschĂŒttert.
Sollte endlich diese unparteiische Chronik zur BesĂ€nftigung verderblicher Leidenschaften auch nur ein weniges beitragen, so wĂ€re unsere MĂŒhe reichlich belohnt.
Der Verfasser.
[1]
Die KriegserklÀrung.
Es gab auch in unsern Landgemeinden einzelne starke Geister, die nicht zu bewegen waren, einen Ja-Zettel in die Urne zu werfen.6 Wenn sie beieinander saĂen, schĂŒttelte der und jener den Kopf und meinte, im Land drinnen mĂŒsse was vorgehen und besonders in Paris könne es nicht mehr recht geheuer sein. Der welsche7 Schmied, der Gescheiteste im Dorfe, wenn er so abends mit seinen Gevattern vor Reisejockels8 TĂŒr saĂ und das Pfeifchen lustig dampfte, und die Schelmenaugen so unheimlich blinzelten ⊠der welsche Schmied sagte: »Ihr MĂ€nner! mit dem Kaiser gehtâs den Krebsgang, sonst brauchten wir nicht abzustimmen, ob er bleiben soll oder nicht. Was giltâs, da steckt etwas dahinter.« Und der Staubejörri9 drĂŒben in NĂ€hweiler10, der wildborstige Republikaner, wenn er wieder so einen demokratischen Kraftspruch im MĂŒlhĂ€user BlĂ€ttchen11 entdeckt hatte, der Staubejörri schlug mit seiner massiven Steinhauerfaust auf den Tisch, daĂ die Fenster klirrten: »Ihr Kapitalsesel! Stimmt nur ja; ihr werdet sehen, wir bekommenâs. Krieg gibtâs; sagt nur, ich habâs euch gesagt, und wenn die GroĂen sich rupfen, verlieren wir Bauern die Haare.« So standâs; aber das waren nur Ausnahmen in der groĂen, ĂŒberwiegenden Ja-Menge. Sie wurden leicht durch die weltlichen und geistlichen OrdnungstrĂ€ger unschĂ€dlich gemacht [2] und der achte Mai 1870, der Tag des Plebiszits, war ein glĂ€nzender Sieg und eine feste BĂŒrgschaft fĂŒr die Zukunft. Niemand in unserm Heimatlande dachte an den jĂ€hen Ausbruch eines so verhĂ€ngnisvollen Krieges.
Es verflossen einige Wochen; alles ging im alten Geleise. Eine furchtbare Hitze brannte auf unserer Hochebene; die spĂ€rliche Heuernte war eingeheimst worden und die Weizenernte stand diesmal viel frĂŒher als gewöhnlich vor der TĂŒr. (Abb. 4) Der Juli war gekommen.
Plötzlich drangen in unser stilles Landleben dunkle GerĂŒchte von politischen Verwicklungen, von Krieg ⊠Man sah einander fragend an: »Krieg? FĂŒr was? Mit wem?« â Diejenigen Leute, welche Söhne bei der Armee hatten, erkundigten sich, was die Zeitung melde; wie es stehe; ob etwas zu fĂŒrchten sei. Wir beruhigten, so gut es gehen mochte, die besorgten GemĂŒter, und wieder vergingen einige Tage. â Der KriegslĂ€rm wurde aber allgemeiner, bedrohlicher; man fĂŒhlte einen schweren Druck, wie in der Luft, so im Herzen; man spĂŒrte, daĂ ein geheimnisvolles Schachspiel zwischen groĂen MĂ€chten stattfĂ€nde. Und das alles ging so schnell, so riesig schnell! â »Jetzt!«, sagte am 12. Juli12 so recht trĂŒbselig ein reicher Bauer, »jetzt haben wir falsch gemaust; der Staubejörri hat doch recht gehabt â es gibt Krieg; o weh! es wird nicht gut gehen!« Und siehe, das Gewitter stieg am Himmel immer höher, immer dunkler, bis am 19. Juli13 ein Blitz mit krachendem Donner die Brandfackel in PreuĂens Hauptstadt warf. (Abb. 5)
Abb. 4
Der erste Eindruck der KriegserklĂ€rung auf unsere Leute war betĂ€ubend, niederschmetternd. Frankreich in Fehde mit PreuĂen! Das gibt...