Das Violoncello
eBook - ePub

Das Violoncello

Anthologie

Jochen Bauschke

Partager le livre
  1. 124 pages
  2. German
  3. ePUB (adapté aux mobiles)
  4. Disponible sur iOS et Android
eBook - ePub

Das Violoncello

Anthologie

Jochen Bauschke

DĂ©tails du livre
Aperçu du livre
Table des matiĂšres
Citations

À propos de ce livre

In neun Kurzgeschichten spannt diese Anthologie einen Bogen von Kinder- ĂŒber Jugend- bis zu Erwachsenengeschichten, die teils ĂŒberraschen, teils betroffen machen.Das Violoncello (Veronika Schima)Lenas Violoncello beschließt, sich einen anderen Besitzer zu suchen, der es mehr zu wĂŒrdigen weiß.GlĂŒckskeks (Craita TenO)Ein von zuhause ausgerissener Teenager fĂ€hrt mit dem Zug ziellos durch Deutschland. Erst der Spruch aus einem GlĂŒckskeks weist ihm den richtigen Weg.Die Festung am Eismeer (Udo Pörschke)Bei der Besichtigung einer historischen Festungsanlage in Norwegen wird ein Deutscher, der hier im Zweiten Weltkrieg stationiert war, mit seiner Vergangenheit konfrontiert.FrĂŒhstĂŒck (Christoph Rollfinke)In den 1970ern: Gunther verachtet seinen Vater fĂŒr dessen damalige UntĂ€tigkeit im Angesicht der NSDAP-GrĂ€ueltaten. Als er in seiner WG von der Planung eines RAF-Anschlags erfĂ€hrt und nichts dagegen unternimmt, muss er erkennen, dass er seinem Vater mehr Ă€hnelt, als ihm lieb ist.Ein radikaler Schnitt (Rolf Menz)Georg hat nach Jahren der Schriftstellerei den Bezug zur RealitĂ€t verloren. Als ihm seine Entfremdung klar wird, entschließt er sich zu einem radikalen Schnitt.Die Standuhr (BĂ€rbel Maiberger)Sie schwĂ€rmt fĂŒr seine Uhrensammlung, wehrt sich aber gegen die Anschaffung einer Standuhr. Er ahnt nicht, dass dieser Weigerung ein traumatisches Erlebnis ihrer Kindheit zugrunde liegt.Nie vergessen, nicht vergeben (Heike Wegmann)Nach dreißig Jahren betritt Peter erstmals wieder seine Heimatstadt, in der sein Vater damals seine Mutter erschlagen und seine Schwester misshandelt hat. Seine Schwester ist auch der Grund fĂŒr Peters Hiersein doch er ahnt nicht, dass sie etwas zu erzĂ€hlen hat, das alles Ă€ndern wird.Johns Ende (Anke Voigt)Nach einem wechselvollen Leben strandet John als Obdachloser in einem deutschen Bahnhof. Er hat der EiseskĂ€lte des Weihnachtsabends nur die Fetzen an seinem Leib und die trĂŒgerische WĂ€rme einer gestohlenen Flasche Schnaps entgegenzusetzen. Bevor er einschlĂ€ft, nimmt John sich vor, nachhause zu fahren.Das FĂŒhrerprinzip (Thorsten Pehlmann)Fabrikarbeiters Patrick Heinrich kann sich von seinem Gehalt gerade einmal eine winzige Wohnung leisten, seine Eltern leben am Existenzminimum, seine Freunde von Hartz IV.Um sich zu wehren, sammelt Patrick Leidensgenossen zur Kampfgruppe Heinrich. Damit folgt er quasi einer Familientradition, denn schon sein Vater war gewalttĂ€tig und sein Großvater im Zweiten Weltkrieg an der Judenvernichtung beteiligt gewesen.Als Patricks Kampfgruppe in Aktion tritt und die Lage schrittweise eskaliert, rĂ€t ihm ausgerechnet besagter Großvater zur Vernunft. Er macht ihm klar, dass er einmal schuldig geworden sein Gewissen niemals wieder rein waschen könne.

Foire aux questions

Comment puis-je résilier mon abonnement ?
Il vous suffit de vous rendre dans la section compte dans paramĂštres et de cliquer sur « RĂ©silier l’abonnement ». C’est aussi simple que cela ! Une fois que vous aurez rĂ©siliĂ© votre abonnement, il restera actif pour le reste de la pĂ©riode pour laquelle vous avez payĂ©. DĂ©couvrez-en plus ici.
Puis-je / comment puis-je télécharger des livres ?
Pour le moment, tous nos livres en format ePub adaptĂ©s aux mobiles peuvent ĂȘtre tĂ©lĂ©chargĂ©s via l’application. La plupart de nos PDF sont Ă©galement disponibles en tĂ©lĂ©chargement et les autres seront tĂ©lĂ©chargeables trĂšs prochainement. DĂ©couvrez-en plus ici.
Quelle est la différence entre les formules tarifaires ?
Les deux abonnements vous donnent un accĂšs complet Ă  la bibliothĂšque et Ă  toutes les fonctionnalitĂ©s de Perlego. Les seules diffĂ©rences sont les tarifs ainsi que la pĂ©riode d’abonnement : avec l’abonnement annuel, vous Ă©conomiserez environ 30 % par rapport Ă  12 mois d’abonnement mensuel.
Qu’est-ce que Perlego ?
Nous sommes un service d’abonnement Ă  des ouvrages universitaires en ligne, oĂč vous pouvez accĂ©der Ă  toute une bibliothĂšque pour un prix infĂ©rieur Ă  celui d’un seul livre par mois. Avec plus d’un million de livres sur plus de 1 000 sujets, nous avons ce qu’il vous faut ! DĂ©couvrez-en plus ici.
Prenez-vous en charge la synthÚse vocale ?
Recherchez le symbole Écouter sur votre prochain livre pour voir si vous pouvez l’écouter. L’outil Écouter lit le texte Ă  haute voix pour vous, en surlignant le passage qui est en cours de lecture. Vous pouvez le mettre sur pause, l’accĂ©lĂ©rer ou le ralentir. DĂ©couvrez-en plus ici.
Est-ce que Das Violoncello est un PDF/ePUB en ligne ?
Oui, vous pouvez accĂ©der Ă  Das Violoncello par Jochen Bauschke en format PDF et/ou ePUB ainsi qu’à d’autres livres populaires dans Literatur et Drama. Nous disposons de plus d’un million d’ouvrages Ă  dĂ©couvrir dans notre catalogue.

Informations

Année
2020
ISBN
9783968580203
Sous-sujet
Drama

Das FĂŒhrerprinzip

Thorsten Pehlmann

„Hallo Patrick, Junge. Danke fĂŒr deine Hilfe. Das ging ja richtig flott.“
„Kein Problem, Mama. FĂŒr euch bin ich doch immer da, weißt du doch. Äh, wie geht’s Papa?“, flĂŒsterte Patrick leise in der Wohnungsdiele seiner Eltern, lugte vorsichtig durch den offenen Spalt der angelehnten WohnzimmertĂŒr, konnte den Hinterkopf seines Vaters erkennen. Im Hintergrund des im Ikeastil eingerichteten Wohnzimmers flimmerte das Fernsehen. Die Nachrichten um neunzehn Uhr liefen gerade. Patricks Vater saß in seinem braunen Ledersessel, der einmal sehr schön und gepflegt aussah – vor mehr als zwanzig Jahren. Jetzt wies er viele Risse auf, an manchen Stellen kam das Futter heraus, das Marlies, seine Frau, notdĂŒrftig zu stopfen versucht hatte, mit mĂ€ĂŸigem Erfolg. Laut rauschte der Feierabendverkehr auf der B55, der Hauptstraße, die mitten durch Borgheim fĂŒhrte, unter dem halboffenen Wohnzimmerfenster im zweiten Stock des Achtparteienhauses vorbei.
„Willst du die EinkaufstĂŒten denn ewig in der Hand halten, Junge? Bist mit deinen dreißig Jahren bald genauso zerstreut wie dein Herr Vater.“ Leicht erschrocken zuckte Patrick zusammen, blickte in die dunklen Augen seiner Mutter, wĂ€hrend sie ihrem Sohn die gefĂŒllten EinkaufstĂŒten aus der Hand nahm. Ein LĂ€cheln huschte kurz ĂŒber das von Sorgenfalten durchzogene Gesicht. „Komm.“ Schnell fasste sie Patrick bei der Hand, fĂŒhrte ihn in die KĂŒche, wo sie leise die TĂŒr hinter sich schloss. „Die Tabletten helfen im Augenblick sehr gut. Er hat weniger Schmerzen und sie stellen ihn ruhig, damit er sich nicht mehr so aufregt. Doktor Bernhards hat die Dosis erhöht. Aber an RĂŒckkehr in seinen Beruf ist wahrscheinlich nicht mehr zu denken. Seit dem tödlichen Unfall seines Kollegen auf der Baustelle ist dein Vater nicht mehr der Alte. Seine Depressionen werden immer schlimmer. Der Arzt meint, er mĂŒsste ihn eigentlich in eine Spezialklinik ĂŒberweisen, wo sie feststellen können, ob sein Knie eine Chance auf Heilung hat, aber das zahlt die Krankenkasse nicht, und da wir keine private Zusatzversicherung abgeschlossen haben ...“
„Die erste OP ...?“
„Ja, ich weiß, die erste OP ist nicht so gut verlaufen, wie es sich die Ärzte erhofft hatten.“
„Aber er kann das Knie doch wenigstens etwas besser bewegen nach der Therapie oder ...?“
Patricks Mutter schĂŒttelte den Kopf mit den kurzen, mittlerweile stark ergrauten Haaren. „Eine Besserung, nein. Und die Firma behauptet immer noch, dass Papa am Unfall eine Mitschuld trĂ€gt. Gleichzeitig ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des toten Kollegen. Jetzt behauptet der Seniorchef auf einmal, dein Vater habe angeblich die Sicherheitsabsperrung nicht sachgemĂ€ĂŸ installiert. Hier, das Schreiben von seinen AnwĂ€lten.“
WĂŒtend nahm Patrick den Brief entgegen, ĂŒberflog die Zeilen. „Das darf ja nicht wahr sein. Dabei war Papa fĂŒr die Absperrung an diesem Tag doch gar nicht zustĂ€ndig, sondern der Juniorchef, wie Papa mir selbst erklĂ€rt hat. Außerdem wollte er den Kollegen noch retten, ist dabei selbst in die tiefe Ausschachtung gefallen. Das haben die anderen Kollegen doch bestĂ€tigt. Mann, Papa hĂ€tte draufgehen können.“ Patricks Kopf wurde hochrot, eine Hand ballte sich zur Faust. „Eigentlich mĂŒsste man dieses Pack abknallen. Ohne Gnade mĂŒsste man ...“
„Stopp. Du weißt, ich mag keine WutausbrĂŒche. Dein Vater reicht mir. Außerdem sind solche bösartigen SprĂŒche sinnlos. Gewalt ist kein Lösung, Junge.“ Patricks Mutter stöhnte leise auf. „Warum bist du manchmal so blutrĂŒnstig, hm? Dein Vater war frĂŒher auch immer so.“ Ein sanftes LĂ€cheln huschte ĂŒber ihr Gesicht, wĂ€hrend sie Patrick durch sein aschblondes Haar wuselte.
„Der Juniorchef soll gedeckt werden und dafĂŒr wollen sie Papa opfern, aber das lasse ich nicht zu!“ Patrick sprach in erregter LautstĂ€rke. Ängstlich öffnete seine Mutter die KĂŒchentĂŒr einen Spalt, lugte zur angelehnten WohnzimmertĂŒr rĂŒber, doch nichts regte sich dort. Behutsam schob sie die KĂŒchentĂŒr wieder ins Schloss.
„Patrick, was sollen wir denn tun? Wir hatten nie Geld fĂŒr eine gute Rechtsschutzversicherung, also kommt ein Rechtsstreit wegen der hohen Kosten fĂŒr uns nicht in Frage und zur BedĂŒrftigenberatung will dein Vater nicht, dafĂŒr ist er viel zu stolz. Ich bin froh, dass du uns mit den EinkĂ€ufen einmal pro Monat aushilfst, damit wir halbwegs ĂŒber die Runden kommen, seitdem die Krankenkasse das Krankengeld zahlt.“
Patrick war immer noch wĂŒtend. Warum dachte seine Muter nur so ... so klein, ließ sich alles gefallen? Auf jeden Fall wĂŒrde der Juniorchef von Ready-Bau, der grĂ¶ĂŸten Baufirma in Borgheim und die Nummer Drei im ganzen Ruhrgebiet, sich aus der AffĂ€re ziehen, dafĂŒr wĂŒrden die gut bezahlten AnwĂ€lte schon sorgen.
Gerade wollte Patrick zu einer harten Entgegnung ansetzen, da schlug seine Mutter plötzlich die HĂ€nde vors Gesicht, begann bitterlich zu weinen. FĂŒr einige Sekunden stand der in dieser Situation hilflos wirkende Sohn einfach nur vor ihr und, starrte sie fassungslos an. So hatte er seine immer starke, vernĂŒnftige und positiv denkende Mutter in den ganzen dreißig Jahren noch nicht erlebt, obwohl sie als Familie schon einiges durchgemacht hatten. Die offensichtliche Hoffnungslosigkeit machte ihn zutiefst betroffen. Als flĂŒstere ihm eine unsichtbare Stimme vorwurfsvoll zu, seine Mutter endlich zu umarmen, kam Bewegung in den DreißigjĂ€hrigen. Sanft zog Patrick seine Mutter an die Brust, drĂŒckte sie liebevoll. Als er sich spĂ€ter von ihr verabschiedete, hielt sie ihn an den HĂ€nden fest, blickte ihm intensiv in seine blauen Augen. „Mach keine Dummheiten, Junge. Die Welt steckt voller Ungerechtigkeiten, aber irgendwie schaffen wir es. Das haben wir doch immer.“ Sie setzte ein positives LĂ€cheln zur Schau. Patricks Stimme wirkte emotionslos, seine Mimik undurchsichtig. „Ja Mama, sicher. Irgendwie.“
„Ey Heinrich, beweg deinen Arsch mit dem Stapler hier rĂŒber! Werner braucht Hilfe. Der Sattelzug muss bis vierzehn Uhr abgefertigt werden. Termingut! Gib Stoff, Alter, oder es rappelt!“
Ohne eine Erwiderung auf die niveaulose Art des Disponenten fuhr Patrick den gasbetriebenen Stapler zĂŒgig durch die großflĂ€chige Lagerhalle der Spedition und eilte dem Kollegen zu Hilfe. Gedanklich bei seinen Eltern, dachte er ĂŒber seinen letzten Besuch bei ihnen vor zwei Tagen nach. Dann erschien Michaela, die attraktive Nachbarin, vor seinem geistigen Auge. Ein bisschen Spaß fĂŒr den Sexhunger zwischendurch, so nannte er die Erotikbeziehung mit ihr, musste dabei breit grinsen. Alles andere kam fĂŒr ihn sowieso nicht in Frage. Unrealistische Vorstellungen vom Leben mit Heirat und FamiliengrĂŒndung erschien Patrick in der heutigen Zeit, wo jeder sich selbst der NĂ€chste war, nicht sinnvoll. Heute konnte sich ein normaler gewerblicher Arbeitnehmer mit vierwöchiger KĂŒndigungsfrist und tausendeinhundert Euro netto so ein Lebensmodell einfach nicht leisten. Wie viele Jobs mĂŒsste er sich denn zulegen, um seine Familie ausreichend versorgen zu können? Zwei Arbeitsstellen oder drei? Schwachsinn, wo sind deine Grenzen? Und wen traf die Schuld? Die beschissene Regierung, das gesamte Wirtschaftssystem, die GleichgĂŒltigkeit der Verantwortlichen der Gesellschaft aller Schichten und Bereiche mit ihrer sozialen Inkompetenz und gewollten Ungerechtigkeit um des eigenen Vorteils willen. Aber damit wĂŒrde bald Schluss sein, denn er, Patrick Heinrich, wĂŒrde ein Zeichen setzen in Borgheim, ein Leuchtfeuer der Erweckung und RĂŒckbesinnung auf die wahren Werte des Menschen im ganzen Ruhrgebiet, Werte, die sein Vater ihm in der Jugendzeit vor Augen gefĂŒhrt hatte. Die Zeit war endlich reif fĂŒr die Ernte, die Vorbereitungen konnten als abgeschlossen gelten.
„Sag mal, hast du MĂŒll in den Ohren, oder was? Du sollst Werner beim Abladen des Sattelzugs helfen, nicht deinen Hintern breitsitzen!“ Im ersten Augenblick beim GebrĂŒll des Disponenten aus drei Metern Entfernung zusammengezuckt, fuhr Patrick mit Vollgas an, umklammerte voller Wut das Lenkrad des Gabelstaplers. Er hatte ĂŒberhaupt nicht bemerkt, dass er völlig in Gedanken versunken den Stapler in eine Seitengasse des Hochregallagers gefahren und gestoppt hatte. Dem Disponenten jedoch entging nichts, spĂŒrte er noch jeden Mitarbeiter auf, der sich vor der Arbeit drĂŒcken wollte. Die Vollgummireifen von Patricks Gabelstapler drehten durch, hinterließen einen breiten GummirĂŒckstand auf dem Boden der Lagerhalle. Das GebrĂŒll des Disponenten verfolgte Patrick bis an die Laderampe, als er an dem Vorgesetzten vorbeirauschte, doch er sagte wieder nichts. Nur jetzt nicht die Beherrschung verlieren, gar dem Drecksack nach Feierabend die Fresse polieren. Keinesfalls durfte Patrick irgendetwas aufs Spiel setzen. Sollten sie nur rumpöbeln, ihn fĂŒr einen dummen, feigen, stillen DuckmĂ€user halten, denn irgendwann bekam jeder seine Strafe. So wie damals. Damals vor sechzig Jahren.
Russland 1942
Mit sĂŒffisantem Blick wandte sich SS-ObergruppenfĂŒhrer Walter Zimmer dem gemischten Pulk von MĂ€nnern, Frauen und Kindern zu, bedeutete seinen Untergebenen, die Menschen zum Treffpunkt außerhalb des Dorfes zu bringen. Zwölf MĂ€nner der Einsatzgruppe C, in feldgrauen Uniformen gekleidet, drĂ€ngten die Gruppe zum Dorfausgang. Ihr Ziel war ein nahe gelegenes WĂ€ldchen. In der Ferne grollte dumpfes GeschĂŒtzfeuer, es wurde vom Wind mal stĂ€rker, mal schwĂ€cher herangetragen. Der Feind hatte das Dorf schnell gerĂ€umt, keinen großen Widerstand geleistet, und nachdem die Einheiten der Heeresgruppe SĂŒd vor drei Tagen nur so durchrauschten, trafen auch schon die MĂ€nner der Einsatzgruppe C ein, um ihre besondere Aufgabe fĂŒr das Deutsche Reich zu erfĂŒllen. Lediglich die ersten HĂ€user hatten einige BeschĂ€digungen durch Panzergranaten abbekommen, ansonsten war das Dorf intakt. „Die ahnen ĂŒberhaupt nicht, was ihnen blĂŒht.“ Neben den SS-ObergruppenfĂŒhrer trat der zweiundzwanzigjĂ€hrige UnterfĂŒhrer Herbert Heinrich und fiel in Zimmers sarkastisches Lachen mit ein. GrĂŒne Augen, blondes Haar, nur ein kleiner Fehler im idealen Bild des von der ReichsfĂŒhrung glorifizierten Herrenmenschen. „So ist es. Komm, darauf trinken wir einen.“ Einem aufmerksamen Beobachter wĂ€re der gezwungene Ausdruck aufgefallen, den Heinrich mit seinem GelĂ€chter ĂŒberspielte. Der UnterfĂŒhrer trug eine volle Flasche Wodka in der Armbeuge. Dass die Mittagsstunde noch nicht angebrochen war, hielt die beiden Angehörigen der Einsatzgruppe nicht davon ab, sich einen krĂ€ftigen Schluck zu genehmigen. Direkt nachdem die Wehrmacht aus dem Dorf abgerĂŒckt war, hatte der um fĂŒnfzehn Jahre Ă€ltere Zimmer unter der jĂŒdischen Bevölkerung die Nachricht verbreiten lassen, sie sollten sich bis zum nĂ€chsten Mittag auf dem Dorfplatz zwecks Umsiedelung nach Oberschlesien einfinden, da die Region noch viele fleißige HĂ€nde in der Landwirtschaft benötigen wĂŒrde. Die meisten folgten dem Aufruf. Welche Tragik. Zimmer rĂŒlpste laut nach dem ersten Schluck, wischte sich kurz ĂŒber sein feistes Gesicht mit den wasserblauen Augen. „Wie viele von dem Pack haben wir bis jetzt unter die Erde gebracht, Heinrich?“ Der Angesprochene drĂŒckte seinem Vorgesetzten die Flasche in die Hand, zĂŒckte ein kleines Notizbuch, blĂ€tterte kurz in den Seiten. „Wir sind mittlerweile vier Monate in diesem Abschnitt unterwegs ...“ Heinrich ĂŒberflog die fein sĂ€uberlich aufgeschriebenen Zahlen, addierte die Ziffern, bis er mit gespielt stolzem Blick zum einen Kopf grĂ¶ĂŸeren Zimmer aufblickte. „Mein Lieber, wir waren richtig fleißig. Bis jetzt kommen wir auf 27.385 ,unerwĂŒnschte Elemente’.“ Als Antwort klopfte ihm Zimmer wohlwollend auf die Schulter, nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche, bevor er sie an Heinrich zurĂŒckgab. Immer öfter tranken sowohl er als auch Heinrich zu jeder Tageszeit. „Um Herr ĂŒber den Arbeitsstress zu werden“, wie sie es nannten. JĂ€mmerliche Ausreden, denn in Wirklichkeit suchten sie des nachts AlptrĂ€ume heim, AlptrĂ€ume von den vielen getöteten Juden, ihre Gesichter, die Schreie, als sie in den von ihnen selbst ausgehobenen GrĂ€bern von Maschinengewehrsalven durchsiebt wurden, sich einige Minuten spĂ€ter ihre Leichen ĂŒbereinander stapelten. Der ReichsfĂŒhrer SS Heinrich Himmler predigte die Ansicht, dass ein gestĂ€hlter deutscher Geist ĂŒber solche Belastungen erhaben sein mĂŒsse. SelbstverstĂ€ndlich vertraten die MĂ€nner der Einsatzgruppe C unter ihrem ObergruppenfĂŒhrer Zimmer diesen Standpunkt mit großem Enthusiasmus, doch irgendetwas machte den Herrenmenschen einen Strich durch die Rechnung. Welche Geißel bereitete dieser heroischen Gruppe so große Schwierigkeiten bei ihrer wichtigen Arbeit, dass immer mehr Angehörige zum Alkohol als Allheilmittel griffen oder sogar Selbstmord begingen wie Hans Mertin, der sich erst vor drei Wochen eine Kugel durch den Kopf jagte? Mertins Suizid wurde natĂŒrlich totgeschwiegen, denn niemand wollte den Grund fĂŒr Mertins feigen Abgang in Erfahrung bringen. Wahre Herrenmenschen trotzten eben jeder Herausforderung. Trotz des starken, sinnumnebelnden Wodkas breitete sich in UnterfĂŒhrer Herbert Heinrichs Mund ein bitterer Beigeschmack aus.
Seit lĂ€ngerer Zeit beobachtete er die besorgniserregende Tendenz des erhöhten Alkoholkonsums an sich und an anderen Gruppenagehörigen. Als er ObergruppenfĂŒhrer Zimmer vor einigen Wochen darauf ansprach, schrie der ihn nur an: „Mann, Heinrich, halt gefĂ€lligst dein blödes Maul! Wir sind Deutsche! Ein deutscher Mann wird gestĂ€hlt im Feuer des Kampfes. Piss dir nicht in die Hosen. Unsere Aufgabe hier ist wichtig, verstehst du? Oder machst du dir etwa Gedanken ĂŒber dieses Dreckspack von Juden, hĂ€h?“
„Nein, nein, wo denkst du hin, natĂŒrlich nicht. Aber ich mache mir Sorgen, Ă€h Sorgen ĂŒber die Zielsicherheit unserer MĂ€nner bei den Erschießungen.“ So hatte er geantwortet. Und Zimmer hatte ihm daraufhin anerkennend auf die Schulter geklopft, wie er es so oft tat, nannte Herbert Heinrich eine „gute rechte Hand“. Heinrich wusste es besser. Er kannte die Geißel, die sie alle, die gesamte Gruppe einschließlich Zimmer, in ihren Klauen hielt. Eine unbarmherzige, brutale Geißel, so boshaft und tĂŒckisch wie sie selbst, wenn sie auf die Jagd nach Untermenschen und anderen „unerwĂŒnschten Elementen“ gingen. Ja, die Geißel besaß einen Namen: Gewissen.
Ein SS-Mann salutierte zackig vor Zimmer und unterbrach Heinrichs GedankengĂ€nge. „Das mĂŒssten alle sein, Herr ObergruppenfĂŒhrer.“
„Schön.“ Und an Heinrich gewandt sagte Zimmer: „Na dann wollen wir mal ein paar Bleigeschenke verteilen, oder Heinrich, was meinst du?“
Ohne Antwort marschierte Herbert neben seinem Vorgesetzten ins nahe gelegene WĂ€ldchen, nahm immer grĂ¶ĂŸere Schlucke aus der Wodkaflasche. Trotz der langsam einsetzenden BetĂ€ubung des Alkohols wurde ihm schlecht. Am Sammelpunkt angekommen, befand sich eine große Menschenansammlung aller Altersgruppen dicht gedrĂ€ngt in einem Graben. Die Abmessung des Grabens belief sich auf zwei Meter Breite und Tiefe und fĂŒnfzig Meter LĂ€nge. Einige mĂ€nnliche Personen der großen Menschentraube hielten noch die Spaten in den HĂ€nden, die ihnen jetzt aber auf Anweisung des ObergruppenfĂŒhrers abgenommen wurden. Am Rande rings um den Graben nahmen fĂŒnfzig MĂ€nner des Kommandos mit Maschinenpistolen im Anschlag ihre Positionen ein. Viele Menschen aus dem Pulk waren verĂ€ngstigt, Kinder weinten laut, MĂŒtter drĂŒckten ihre SĂ€uglinge an die Brust, als könnten sie ihre SchĂŒtzlinge mit dieser Geste vor dem aufkommenden Unheil schĂŒtzen. Die meisten wussten, was ihnen bevorstand, aber ein Ă€lterer Herr, bekleidet mit einem feinen schwarzen Mantel und schwarzem Hut nĂ€herte sich dem Rand des Grabens, wo Walter Zimmer Aufstellung genommen hatte. Beide HĂ€nde beschwörend erhoben, sah er den ObergruppenfĂŒhrer bittend an. Herbert Heinrich neben ihm bekam vor Scham einen roten Kopf, setzte die Wodkaflasche an die Lippen und trank den verbliebenen Rest in einem Zug leer. Seine Übelkeit stieg ins Unermessliche, er glaubte, sich augenblicklich ĂŒbergeben zu mĂŒssen.
„Herr ObergruppenfĂŒhrer, ich bitte Sie flehentlich, lassen Sie wenigstens die Frauen und Kinder am Leben. Bitte!“ Obwohl Russe, sprach der Mann einwandfreies Deutsch. Doch Zimmer ignorierte den Auftritt des Mannes geflissentlich, hatte nur Augen fĂŒr die zwei goldenen Ringe an den HĂ€nden des Ă€lteren Herrn. Der bemerkte Zimmers gierige Mine, zog sich den Handschmuck augenblicklich von den Fingern, streckte sie dem ObergruppenfĂŒhrer auf der flachen Hand entgegen. Herrisch sah Zimmer ĂŒber den alten Mann hinweg, beugte sich plötzlich hinab, grabschte nach dem Schmuck. Ein diebisches Grinsen huschte ĂŒber sein Gesicht, als er Heinrich die Ringe zeigte und ihm einen in die Hand drĂŒckte. „Bei mir wird brĂŒderlich geteilt, Herr UnterfĂŒhrer. DafĂŒr bist du heute mit dem Fangschuss dran.“ Heinrich stockte der Atem.
„Aber ich war doch erst vor fĂŒnf Tagen ...“
„Nichts da, mein Lieber.“ Zimmers linker Fuß schoss vor, stieß den kultivierten Ă€lteren Mann rĂŒcklings in die dicht gedrĂ€ngte Menschentraube im Graben zurĂŒck. Er lachte. Ohne weitere EinwĂ€nde von Heinrich abzuwarten, hob OberfĂŒhrer Walter Zimmer den rechten Arm zum deutschen Gruß, dass allseits verabredete Zeichen fĂŒr seine MĂ€nner zu feuern. Intuitiv erkannten die Menschen im Graben, was ihnen bevorstand. Die Masse wogte hin und her. Vor Angst schrien die Kinder mit ihren MĂŒttern und jungen Frauen noch lauter, wĂ€hrend Ă€ltere sich stumm ihrem Schicksal ergaben. Ungeachtet der eisigen KĂ€lte rissen sich einige Frauen die Blusen auf, stĂŒrzten an den Grabenrand, boten sich ihren Henkern an. Auf den Gesichtern der arbeitsfĂ€higen MĂ€nner trat ein verbissener Ausdruck im Angesicht des Todes, mancher wollte schon voll mutiger Entschl...

Table des matiĂšres