Arbeitssucht und Workaholismus: Kein Gewinn fĂŒr Unternehmen
// Von Simone Janson
Workaholismus, zu Deutsch Arbeitssucht, ist in unserer Gesellschaft weit verbreitet. Das Problem ist, dass diese Droge gesellschaftlich höchste Anerkennung genieĂt. Doch anders als viele Chefs meinen, sind diese Arbeitstiere kein Gewinn fĂŒr Unternehmen.
Warum halten so viele Menschen an Arbeitssucht fest?
Der Hauptgrund dafĂŒr, dass trotz vieler offensichtlicher Nachteile dennoch so viele Menschen an ihrer Arbeitssucht festhalten wie an einem liebgewordenen KleidungsstĂŒck, ist sein gesellschaftliches Ansehen.
Die meisten perfektionistischen Verhaltensweisen sind im modernen Berufsalltag positiv belegt. ZĂŒge wie Strebsamkeit, Ehrgeiz, Kampfgeist, Ordnungssinn oder Organisationsvermögen gelten als hervorragende Eigenschaften, um Karriere zu machen. Denn ohne FleiĂ ist ja kein Preis zu erreichen, nicht wahr? Vor allem vermitteln diese Menschen den Eindruck, besonders produktiv zu sein und erscheinen damit als die idealen LeistungstrĂ€ger. Wer immer 200 Prozent gibt, muss ja schlieĂlich erfolgreich sein â oder? Sind Perfektionisten also die geborenen Erfolgsmenschen, denen ein Platz in der FĂŒhrungsetage des Unternehmens sicher ist?
Arbeitssucht â die tolerierte Sucht?
WĂ€hrend SĂŒchte wie harte Drogen oder Alkohol gesellschaftlich geĂ€chtet werden, steht Arbeitssucht, sogenannter Workaholismus, in hohem gesellschaftlichen Ansehen, gilt als normal und ist oft sogar von den Unternehmen gewollt. Daher ist es so schwer, sich einzugestehen, dass die entsprechenden Verhaltensmuster schĂ€dlich sind und daran etwas zu Ă€ndern.
Der Schein trĂŒgt, denn Perfektionismus hat nicht nur Vorteile, sondern auch eine Reihe von Nachteilen, die im Berufsalltag zum Problem werden können. So mag Strebsamkeit positiv sein, doch es bringt einen keinesfalls weiter, stur an zu hohen Erwartungen festzuhalten oder sich gedanklich an unlösbaren Problemen festzubeiĂen. Auch Ordnungssinn ist durchaus löblich; wer jedoch seine Arbeitszeit mit Pedanterie verschwendet und sich zu stark mit Details beschĂ€ftigt, statt das Gesamtergebnis im Blick zu haben, wird im Job nie die Ergebnisse bringen, die die Vorgesetzten von ihm erwarten.
Hamsterrad statt Karriereleiter
Zahlreiche Studien aus der Arbeitspsychologie belegen deutlich: Entgegen der Annahme vieler Menschen, ist Perfektionismus hĂ€ufig gerade nicht die Basis fĂŒr ausgezeichnete berufliche Ergebnisse und herausragende Karrieren.
Zwar sind Perfektionisten hĂ€ufig geschĂ€ftiger als ruhigere Naturen und können damit fĂŒr einen gewissen Zeitraum sehr erfolgreich sein. Denn solchen Menschen spornen sich in stressigen Situationen noch zusĂ€tzlich selbst an. Mit den Stress-Hormonen Adrenalin und Noradrenalin, die in der Nebennierenrinde ausgeschĂŒttet werden, peitschen sich diese Stress-Junkies selbst zu Höchstleistungen auf. Auf diese Weise gelingt es ihnen hervorragend, sich wichtigen Aufgaben mit vollem Einsatz zu widmen â zumindest fĂŒr kurze Zeit. Aber was passiert dann?
Wie entsteht Stress?
Die typische Stressreaktion ist ein Ăberrest aus der Steinzeit, als wir Menschen uns in plötzlichen Gefahrensituationen zwischen Flucht und Kampf entscheiden mussten. Dabei schĂŒttet der Körper nicht nur Stresshormone aus, sondern beschleunigt auch die Atmung, durchblutet bestimmte Muskeln besser und setzt zusĂ€tzliche Energie aus den ZuckervorrĂ€ten der Leber frei. Das Problem dabei ist allerdings: Um durch diese Reaktion leistungsfĂ€hig zu werden, fĂ€hrt unser Organismus gleichzeitig alle anderen Prozesse herunter, die er gerade nicht braucht â etwa Appetit, Verdauung, AbwehrkrĂ€fte, Kommunikationsvermögen. Im GroĂhirn, dem Sitz des Bewusstseins, wird die AusschĂŒttung des âGlĂŒckshormonsâ Serotonin erhöht, im Zwischen- und Stammhirn, das fĂŒr die unbewusste Regelung von Atmung und Blutdruck zustĂ€ndigist, dagegen vermindert. Diese Umverteilung steigert die Bereitschaft zu einer schnelleren, dafĂŒr aber unĂŒberlegten Reaktion. Auch Aggression und ImpulsivitĂ€t sind erhöht.
Das steinzeitliche Stressprogramm, das frĂŒher fĂŒr das Ăberleben unbedingt notwendig war, ist im modernen Berufsalltag allerdings nicht unbedingt hilfreich. Denn heute ist, wer Erfolg haben will, weniger auf seine Körperkraft angewiesen als vielmehr auf seine kommunikativen FĂ€higkeiten und sein Vermögen, langfristige strategischen Entscheidungen zu fĂ€llen. Perfektionisten, die jedoch von Natur aus anfĂ€lliger fĂŒr externe Stressoren sind, und sich mit ihren hohen AnsprĂŒchen unentwegt selbst unter Druck setzen, beschneiden sich diese wichtigen Erfolgsfaktoren selbst: Wer stĂ€ndig gestresst ist, macht dabei auch öfter Fehler.
Stress ist bei komplexen Aufgaben eher hinderlich
Gerade bei Aufgaben, die komplexe Urteile und Genauigkeit erfordern, geraten die perfektionistischen Hektiker schnell ins Hintertreffen, weil es ihnen schwerfĂ€llt, sich zu konzentrieren. Und nicht selten mĂŒssen sie hinterher die eingesparte Zeit dazu verwenden, Fehler wieder auszubĂŒgeln, die mit einigem ruhigen Nachdenken gar nicht erst entstanden wĂ€ren. Der vermeintliche ProduktivitĂ€tsvorsprung ist also in Wirklichkeit gar keiner.
Dazu kommt noch, dass Perfektionisten in vielen FĂ€llen die ProduktivitĂ€t in Arbeitsgruppen und Teamprojekten eher behindern. Sie kennen hĂ€ufig weder ihre eigenen Grenzen noch die der anderen. Im Gegenteil, weil sie glauben, selbst unentwegt arbeiten zu können, versuchen sie diesen Rhythmus auch anderen aufzuzwingen. Da viele Perfektionisten auĂerdem in dem Bewusstsein agieren, was Arbeitseifer, Fachwissen und Organisationsvermögen angeht, das MaĂ aller Dinge zu sein, wollen sie grundsĂ€tzlich auch den Ton angeben. Gleichzeitig misstrauen sie ihren Kollegen oder Mitarbeitern stark und wollen auch kleinste Arbeitsschritte grundsĂ€tzlich selbst kontrollieren. Zwar können Perfektionisten andere Mitarbeiter hervorragend antreiben und so kurzfristig zu mehr Leistung âmotivierenâ, mit ihrem feindseligen Verhalten zerstören sie jedoch ĂŒber kurz oder lang die Motivation eines jeden Teams â und damit auch seine Effizienz.
Workaholics â kein Gewinn fĂŒr das Unternehmen
Untersuchungen zeigen: Perfektionistischen Workaholics können einem Unternehmen zwar kurzfristig Gewinn bringen, langfristig wird dieser jedoch durch den um ein Vielfaches höheren finanziellen Schaden, verursacht durch Fehler, Mitarbeiterfluktuation und ineffizientes Arbeiten wieder aufgefressen.
Aus diesen GrĂŒnden sind Perfektionisten, alles andere als die idealen Vorgesetzten. Denn ihnen fehlt hĂ€ufig der Weitblick fĂŒr langfristige strategische Entscheidungen und auch ihr FĂŒhrungsstil ist eher dazu angetan, Angst und Unzufriedenheit unter ihren Mitarbeitern zu sĂ€en, statt diese zu motivieren. Daher machen sie in der Regel lĂ€ngst nicht die erfolgreichen Karrieren, die man bei ihrem Ehrgeiz und ihrer GeschĂ€ftigkeit erwarten könnte. Untersuchungen diverser Arbeitspsychologen zeigen, dass typische Perfektionisten vor allem in den mittleren FĂŒhrungspositionen von Unternehmen zu finden sind. Im Top-Management trifft man ĂŒberraschenderweise vor allem die gelasseneren Naturen. Entspanntheit ist also auch ein wichtiger Erfolgsfaktor.
Wann sind wir richtig produktiv?
TatsĂ€chlich ist eine hohe Leistungsbereitschaft grundsĂ€tzlich nichts Verkehrtes â sofern die Leistung freiwillig und mit Freude erbracht wird. Der Verhaltensbiologe Felix von Cube spricht in diesem Zusammenhang von Flow, der Lust des Neugiertriebes.
Neugier motiviert uns voranzugehen, Probleme zu lösen und neue Herausforderungen zu bestehen. Dabei erleben wir Eustress (von griech. Eu=gut), der den Köper zwar auch belastet, aber wichtig ist, um neue und schwierige Aufgaben zu bewÀltigen. Denn wenn wir ein Problem lösen oder unter Zeitdruck eine Arbeit zufriedenstellend meistern, ist es durchaus sinnvoll, dass wir uns ein wenig unter Druck setzen, um Höchstleistungen zu erreichen.
Warum machen wir uns ĂŒberhaupt Stress?
Wenn wir uns Stress machen, dann in der Regel um ein Problem zu lösen oder etwas zu erreichen â zum Beispiel Anerkennung, soziale Bindungen oder Sicherheit. Und wenn wir das Problem lösen oder uns unseren Wunsch erfĂŒllen, erfahren wir Freude â Flow eben.
Wenn der Chef uns beispielsweise eine wichtige Aufgabe ĂŒbertrĂ€gt, beginnen wir sofort zu ĂŒberlegen, wie wir vorgehen werden und unser Organismus bereitet sich darauf vor, Höchstleistungen zu erbringen, um mit der Situation fertig zu werden. Neuere Ergebnisse der Hirnforschung zeigen sogar, dass Stress die schnellere Vernetzung von Hirnzellen fördert. Jedes Mal, wenn wir also unter Stress ein Problem lösen, erlernen wir relativ flott ein Denkmuster, das wir zukĂŒnftig in Ă€hnlichen Situationen wieder abrufen können. Stress erhöht also unsere FlexibilitĂ€t.
Die Euphorie, die wir empfinden, wenn wir eine stressige Arbeit befriedigend abgeschlossen haben, verdanken wir unter anderem den Hormonen Noradrenalin und Serotonin. Diese rufen positive GefĂŒhle hervor, die wie eine Belohnung fĂŒr die vorherige Anstrengung wirken. Wenn der Eustress regelmĂ€Ăig und dosiert auftritt, stimuliert er das Immunsystem und wirkt motivierend. Wichtig ist dabei jedoch, dass wir die Situation als Herausforderung erleben, der wir uns gern stellen; die Aufgabe, die uns unser Chef gibt, sollte uns also weder unter- noch ĂŒberfordern. Auf die richtige Mischung zwischen Flow und Routine kommt es an!
Anerkennung ist wichtig!
Damit wir uns zu einer Aufgabe motiviert und nicht unter- oder ĂŒberfordert fĂŒhlen, ist Anerkennung wichtig. Genau das ist aber in vielen deutschen Unternehmen das Problem, wie gleich mehrere Studien zeigen. Offenbar wird zu selten gelobt und Arbeitnehmer fĂŒhlen sich ob der fehlenden Anerkennung demotiviert. Wer jedoch dauerhaft zu wenig Anerkennung erfĂ€hrt, wenn er ein Problem löst, erlebt auch eine gesunde Herausforderung schnell als Druck.
Unterfordert fĂŒhlen sich die meisten Menschen dann, wenn eine Arbeit monoton ist und zu viel Routine beinhaltet. Doch auch wenn ein gewisses MaĂ an Routine in unserem Leben wichtig ist: Ohne VerĂ€nderungen wird uns schlicht langweilig. Zwar erledigen wir auch unsere Arbeit gut und deutlich schneller, wenn wir die Aufgabe schon hundertmal gemacht haben, weil unser Gehirn sich daran gewöhnt hat, dieses Verhalten quasi automatisch auszufĂŒhren.
Neue Herausforderungen sind wichtig
Doch neuen Herausforderungen, auch wenn sie zunĂ€chst Stress bedeuten, sind wichtig. Denn nur durch deren BewĂ€ltigung erreichen wir jenen Flow, der uns zu Höchstleistungen motiviert. Wer hingegen rigide in eingefahrenen Verhaltensweisen und an starren Denkmustern festhĂ€lt, versagt sich damit dieses euphorische GefĂŒhl.
Allerdings birgt auch die Ăberforderung groĂe Probleme. WĂ€hrend uns zu stupide Arbeiten langweilen, stoĂen wir andererseits auch immer wieder auf Herausforderungen, die wir als belastend, ĂŒberfordernd und unangenehm empfinden. HĂ€ufig sind das Situationen, die wir glauben nicht bewĂ€ltigen zu können. Gute Beispiele dafĂŒr sind die Wirtschaftskrisen, die allgemeine Arbeitsmarktsituation oder der Stellenabbau im Unternehmen â alles Dinge, die der Einzelne nicht beeinflussen kann und die uns daher das GefĂŒhl geben, ausgeliefert zu sein. In solchen Momenten entsteht negativer Distress. Er tritt immer dann auf, wenn man keinen Ausweg weiĂ, weil das menschliche Gehirn aufgrund fehlender Erfahrungen auf die Schnelle keinen Lösungsmechanismus fĂŒr dieses Problem bereithĂ€lt. Im Gegensatz zum Eustress erleben wir in solchen Situationen keinen Flow, sondern fĂŒhlen uns hĂ€ufig hilflos und Ă€ngstlich.
Stress hat unschöne Nebenwirkungen
Schweizer Forscher haben herausgefunden: Stress trĂŒbt unser GedĂ€chtnis. Denn aus der Nebennierenrinde wird Cortisol ausgeschĂŒttet, das den Körper vor Ăberanstrengung schĂŒtzen soll. Es blockiert unter anderem die GedĂ€chtnisleistung, fĂŒhrt zu einem hohen Blutzuckerspiegel und einer ĂbersĂ€uerung des Blutes und zu einer SchwĂ€chung der SchilddrĂŒsenfunktion.
Die Ăberforderung ist aber manchmal auch hausgemacht. Neurobiologische Untersuchungen zeigen, dass manche Menschen regelrecht sĂŒchtig werden nach den körpereigenen GlĂŒckshormonen, dem Flow. Sie fĂŒhren daher stressige Situationen sogar mit Absicht herbei, weil sie mit dem positiven GefĂŒhl, ein Problem bewĂ€ltigt zu haben, immer wieder ihr Selbstbewusstsein stĂ€rken. Doch auf diese Weise kann anfĂ€nglicher Eustress schnell zu Distress werden. Denn nur wenn das enorme, auf eine körperliche Reaktion ausgerichtete Energiepotenzial, das durch die AusschĂŒttung von Stresshormonen entsteht, auch wieder vollstĂ€ndig abgebaut wird, kann sich der Körper entspannen. Wer jedoch permanent unter Strom steht, glaubt bald aus reiner Ăberlastung, eine Aufgabe sei unĂŒberwindlich und verliert dadurch jegliche Motivation.
Zu viel des Guten
Aus Euphorie wird Frustration. Genau diesen Weg schildert das Autorenduo Axel Braig/Ulrich Renz in seinem Buch âDie Kunst weniger zu arbeitenâ am Beispiel eines Managers: Mit einer kreativen, euphorischen Idee grĂŒndet er zusammen mit Freunden ein Unternehmen, das bald floriert. Atemlos verbringt er die nĂ€chsten Jahre im Rausch der Aufbruchstimmung. Nichts ist fĂŒr ihn wichtiger als die Arbeit, er fĂŒhlt sich wichtig in seiner Position und das GefĂŒhl, groĂe Aufgaben zu lösen, stĂ€rkt sein Selbstbewusstsein.
Menschen, die eine 38-Stunden-Woche abarbeiten und freitags schon mittags nach Hause gehen, findet er geradezu empörend. Doch irgendwann verfliegt der Rausch. Das Unternehmen wÀchst, Kalkulation, Kennziffern und Bilanzen gewinnen die Oberhand und...