Nachhaltigkeit macht Profit in Unternehmen: Umweltbewusst Arbeiten als Trend der Zukunft?
// Von Oliver Specht & Axel Nauert
Nachhaltiges, langfristiges Denken und Agieren wird auch fĂŒr Unternehmen immer wichtiger. Der Clou: Firmen profitieren davon auch finanziell durch mehr Umsatz. Wir zeigen, wie das geht.
Wie Nachhaltigkeit und ProfitabilitÀt zusammenpassen
Wie bei dem Helden im Auenland in Herr der Ringe fĂ€ngt auch unsere Geschichte mit der heilen Welt an. Als ich Ende letzten Jahres im ICE von MĂŒnchen nach Duisburg saĂ, konnte ich die Reisezeit wunderbar zum Nachdenken nutzen. Ich liebe diese Ruhe im Zug und die freie Zeit vom Arbeitsalltag. Allerdings fuhr ich nach Duisburg, um den Haushalt meiner Eltern aufzulösen â ein langer Prozess, denn es musste ein neuer barrierefreier Haushalt mit Treppenlift und ambulanter Betreuung her, um das Leben in Zukunft zu erleichtern. Bei dem Gedanken an meine Eltern â die Ă€ltere Generation â musste ich automatisch an meinen Sohn â die jĂŒngere Generation â denken. Er ist elf Jahre alt und ĂŒbernimmt unsere Gewohnheiten: Er genieĂt das Leben in vollen ZĂŒgen, ist sich dabei selbst sicher und bewusst, dass es so bleiben wird. Er fĂŒhrt also ein unbekĂŒmmertes Leben, denn es ist alles da. Der Weihnachtswunschzettel ist leer. Keine WĂŒnsche noch offen.
FĂŒr ihn denke ich an die Zukunft. Ich weiĂ allerdings, dass das CO2-Budget fĂŒr einen lebenswerten Planeten Erde nach 25 Jahren aufgebraucht ist. Dann ist er gerade einmal 36 Jahre alt, steht mitten im Berufsleben und hat wahrscheinlich auch eine Familie: die wiederum nĂ€chste Generation. Er kann heute noch wenig bewegen beziehungsweise beeinflussen. In 25 Jahren ist es zu spĂ€t und er wird seinen Kindern sagen, dass der Opa (aka ich) damals die Zeichen nicht erkannt hĂ€tte. Oder noch schlimmer: dass der Opa es gewusst, aber nicht gehandelt habe. Denn die Fakten aus der Wissenschaft waren bekannt â lediglich der Glaube fehlte.
Warum es nicht hilft, immer das Gleiche zu tun
Dabei sitze ich schon im Zug und verbrauche fĂŒr die 600 Kilometer Fahrt nur ein Zehntel CO2 im Vergleich zu einer Autofahrt. Und trotzdem habe ich mehr LebensqualitĂ€t. Ich sitze im Bordrestaurant der Deutschen Bahn, frĂŒhstĂŒcke und schreibe dieses Vorwort. Wirtschaftlich ergeben sich also keinerlei Nachteile. FĂŒr die Fahrkarte habe ich (dank meiner Bahncard 25) 50 Euro im Vergleich zu circa 50 Euro Benzinkosten bezahlt. Der ICE ist voll, das heiĂt, es gibt eine steigende Anzahl Menschen, die den gleichen Vorteil sehen. Ich frage mich, warum die Nachfrage nach Nachhaltigkeit nicht von weiteren Unternehmen erkannt wird. Das Dienstleistungsangebot im Zug ist limitiert.
Es gibt zwei FrĂŒhstĂŒcksvarianten, zwei Zeitungen und zwei Biersorten. Die Bahn gewinnt als MobilitĂ€tslösung an AttraktivitĂ€t. Warum also gibt es keine GeschĂ€ftsmodelle beziehungsweise Unternehmen, die im Zug weitere Dienstleistungen anbieten? Die dabei langfristigen Gewinne machen und gleichzeitig die AttraktivitĂ€t der nachhaltigen MobilitĂ€t erhöhen? Mir fallen spontan mehrere unterschiedliche mobile Services ein: ein italienisches Bistro, griechisches Restaurant, eine BĂ€ckerei, Kioskservices wie Zeitung, Lotto, BĂŒcher etc. Oder wie wĂ€re es mit ganz neuen MobilitĂ€tsservices wie Friseur, Zahnpflege, Beautysalon? Frei nach dem Stichwort: Reisezeit ist Lebenszeit â und keine Stresszeit wie im eigenen Auto. Im Stau. Je mehr ich darĂŒber nachdenke, desto mehr glaube ich, dass nur GeschĂ€ftsmodelle langfristig erfolgreich sind, die auf diesen nachhaltigen Trend aufsetzen. Sprich: die unseren Planeten Erde lebenswerter machen. Ich ertappe mich gleichzeitig bei dem Gedanken: »Ist doch alles prima. Ich sitze im Zug, der Zug ist voll â geht doch!« Und nehme direkt danach mein Notebook, um die Entwicklung der Bahn nachzulesen.
Dabei muss ich mit Erstaunen feststellen, dass die Bahnstrecken und Bahnhöfe in Deutschland vor 25 Jahren viel dichter strukturiert waren. Es konnte also auch die letzte Meile vom GroĂstadtbahnhof zum Wohnort einfach zurĂŒckgelegt werden. Seit 1994 wurden jedoch 6.100 von 44.600 Kilometern Schienennetz der Eisenbahn in Deutschland stillgelegt, dies entspricht einem Anteil von sage und schreibe 14 Prozent. Gleichzeitig wuchs die Anzahl zugelassener Pkws um 18 Prozent. Wenn die nachhaltige MobilitĂ€t ein Trend der nĂ€chsten 10 bis 30 Jahre ist, wo bitte sind dann die Unternehmen, die in nachhaltige MobilitĂ€tsangebote investieren? Heute haben wir zwei bekannte ĂŒberregionale Verkehrsunternehmen (die Deutsche Bahn und Flixbus) sowie lokale Stadtwerke mit Verkehrsbetrieben. Die Anzahl BeschĂ€ftigter in diesem Segment stagnierte in den letzten 25 Jahren bei cirka 500 000 (im Vergleich sind es in der Automobilindustrie circa 800 000 BeschĂ€ftigte). Nehmen wir den Trend ernst, mĂŒssten die BeschĂ€ftigten in der nachhaltigen MobilitĂ€t weit stĂ€rker wachsen. Auch die Ausgaben fĂŒr nachhaltige Lösungen mĂŒssten deutlich steigen. Die öffentliche Hand gibt doppelt so viel Geld fĂŒr StraĂenbau und -erhaltung aus wie fĂŒr die Eisenbahn und den öffentlichen Personennahverkehr. Warum? Brauchen wir in den nĂ€chsten 10 bis 30 Jahren noch weitere FlĂ€chenversiegelung durch StraĂen und ParkplĂ€tze? MĂŒssten wir nicht eher die StraĂen und ParkplĂ€tze zurĂŒckbauen?
Die Arbeitswelt der Zukunft muss nachhaltiger werden
Was wĂŒrde ich nun also meinem Sohn empfehlen? »Geh in die Automobilindustrie.«? â »Mach eine Bankausbildung.«? â Oder: »Schau nach Unternehmen beziehungsweise GeschĂ€ftsmodellen, die nachhaltige Lösungen fĂŒr unseren Lebensraum entwickeln.«? Im Augenblick ist es noch unsere Aufgabe, die Erde als lebenswerten Planeten unseren Kindern und Enkeln zu hinterlassen. Das gelingt uns, wenn Kunden und Unternehmen umdenken, wenn Lösungen und Technogien fĂŒr statt gegen unseren Planeten entwickelt werden. Wir sind ĂŒberzeugt, dass Unternehmen einen wesentlichen Beitrag fĂŒr die nachhaltige Entwicklung unseres Planeten leisten können â und gleichzeitig finanziell sehr erfolgreich sein werden. Wir brauchen diesen groĂen, positiven Impuls â wir alle!
Sie halten hier keinen streng wissenschaftlichen Text in den HĂ€nden. Er will vielmehr Unternehmer, Berater, FĂŒhrungskrĂ€fte, Spezialisten, Mitarbeiter, Frauen und MĂ€nner einladen, nachhaltige Strategien beim Vorgehen zu entwickeln, Erkenntnisse der neueren Trendforschung zu verwenden, kluge Produktdesigns zu wĂ€hlen, Kreislaufwirtschaft (Cradle to Cradle) schrittweise zu verfolgen und zu realisieren â und es will Handlungsempfehlungen geben. Dieser Text steht im Kontext eines leidenschaftlichen Dialogs. Diesen Dialog fĂŒhren wir in der interdisziplinĂ€r aufgestellten Beratergruppe Alpha mal anders seit ĂŒber einem Jahr. In diesem gemeinsamen Reflexionsprozess haben wir einen innovativen Managementansatz kreiert, der nachhaltige Strategie, soziale und ökologische Verantwortung, New Leadership, Potenzialentwicklung und zeitgemĂ€Ăe Organisation zusammenfĂŒhrt. Manche Stellen in diesem Buch nehmen darauf Bezug. FĂŒr den Praktiker beschreiben wir den Weg anhand einer fiktiven Fallstudie, sozusagen ein Buch im Buch. Es ist eine eigenstĂ€ndige Geschichte. Es wĂ€re aber schade, wenn Sie den Rest auslassen.
FĂŒr den ökologischen Wandel mĂŒssen wir strategisch denken und handeln
Ich war schon frĂŒh Leser der Zeitschrift natur, von Horst Stern damals gegrĂŒndet. Ich erinnere mich an einen Artikel, der vor sicher 25 Jahren vor der ErderwĂ€rmung warnte, gut wissenschaftlich begrĂŒndet, mit der Aussicht auf hĂ€ufigere StĂŒrme und Ăberschwemmungen. Gleichzeitig war ich als Berater Vielflieger, wurde sogar selbst Pilot und hatte einen (mehr als) ausreichend motorisierten Volvo V70. Nach einem ĂŒberaus anstrengenden zehntĂ€gigen Workshop in der NĂ€he von Chicago kam ich damals zurĂŒck nach MĂŒnchen und wollte anders arbeiten, anders leben. Ich beschĂ€ftigte mich daraufhin mit neuen Themen, mit ErnĂ€hrung, Yoga, Musik und Neuroforschung. Ich mag meinen Beruf als Organisationspsychologe, Coach und Umsetzer, denn ich mag Menschen. Mich beschĂ€ftigt, wie wir es schaffen, dem Neuen entgegenzugehen und unser Raumschiff Erde zu erhalten, diesen »blauen Juwel«, wie Alexander Gerst auf der ISS sagte.
Wie haben ĂŒberaus kompetente Menschen in Organisationen, gute Ingenieure, gute Forscher, gute FĂŒhrungskrĂ€fte. Die Kinder der VorstĂ€nde gehen freitags zur Demo der FFF, sprechen mit den Eltern und fragen sie, warum sie so und nicht anders agieren, ob sie kein Interesse daran haben, dieses Raumschiff zu retten, zu erhalten und die bereits entstandenen SchĂ€den am Raumschiff zu reparieren. Es ist eine komplexe Aufgabe, die es jetzt zu bewĂ€ltigen gilt. Erkenntnisgewinn war stets mein Ansinnen, und meine Sorge, dass wir zu langsam sein könnten, ist mein Motor, meine Motivation. Meine BeschĂ€ftigung mit der Neuroforschung hat meine Sicht auf Menschen und psychologische PhĂ€nomene verĂ€ndert. Ich weiĂ, dass wir heute im Vorgehen andere Aspekte berĂŒcksichtigen mĂŒssen und strategisch denkend handeln mĂŒssen.
Aber es geht uns doch gut �
Die »Corona-Zeit« war fĂŒr viele Menschen eine Zeit der Entschleunigung. Einige Menschen nutzten die Zeit jedoch, um ĂŒber die fĂŒr uns wirklich wichtigen Themen im Leben nachzudenken und diese zu Papier zu bringen. Das Jahr 2019 war fĂŒr die meisten Unternehmen ein erfolgreiches Jahr. Die GeschĂ€ftsmodelle funktionierten.
In unserer fiktiven Fallstudie geht es um ein Automobilunternehmen. Der Vorsitzende der GeschĂ€ftsfĂŒhrung, Herr Dr. Movinger (45), ist Ă€uĂerst zufrieden mit seinem Unternehmen. Er ist seit sechs Jahren dort und hat einiges vorangetrieben, gleichzeitig hat er sich Respekt in der Belegschaft erarbeitet. Sein Vertriebskollege Herr Schulz (55) arbeitet bereits 25 Jahre fĂŒr die MobilitĂ€ts-GmbH. FĂŒr ihn ist es wichtig, dass die Firmenkultur stimmt und der Mensch im Mittelpunkt steht. Der Finanzchef Herr Dr. Unger (50) ist erst seit einem Jahr dabei, hochintelligent und befindet sich noch in der Rolle des Beobachters. Der GeschĂ€ftsfĂŒhrer fĂŒr Technologie & Entwicklung, Herr Dr. Wohlfahrt (64), geht nĂ€chstes Jahr in Rente. Eine Nachfolgerin steht schon in den Startlöchern: die junge und eloquente Ingenieurin Frau Vogel (39). Sie war in den Jahren zuvor in einem Elektroauto-Start-up in Kalifornien angestellt.
Fallstudie MobilitÀts-GmbH
Dr. Movinger lehnt sich stolz zurĂŒck. Er hat gerade seinen Gesellschaftern den Jahresabschluss der MobilitĂ€ts-GmbH vorgelegt. Sein Unternehmen konnte letztes Jahr den Absatz nochmals um 3 Prozent steigern und so schlossen sie zum vierten Mal in Folge mit einem Rekordergebnis das Jahr ab. Der Anteil Luxusautos (SUVs) konnte deutlich erhöht werden, was zu einer starken Gesamtmarge von 10 Prozent fĂŒhrte. Dr. Movinger stieg vor sechs Jahren als Vorsitzender der GeschĂ€ftsfĂŒhrung in das Unternehmen ein und ĂŒbernahm zusĂ€tzlich das Ressort Produktion. Man hatte ihn von einem Konkurrenten abgeworben, bei dem er viele unterschiedliche Positionen durchlaufen hatte, zuletzt war er dort verantwortlich fĂŒr das US-amerikanische GeschĂ€ft. Er konnte in den Jahren bei der MobilitĂ€ts-GmbH einige wichtige Projekte umsetzen, die sich nun auszahlen. Bei der Belegschaft â anfangs skeptisch ĂŒber den »fremden« Neuzugang â hat er sich nun den verdienten Respekt erarbeitet, denn er packt an und fĂŒhrt das Unternehmen an der kurzen Leine. Auch die Anteilseigner sind mehr als zufrieden: Das Unternehmen befindet sich auf einem profitablen Wachstumskurs. Beim Ausblick ist Dr. Movinger jedoch ein wenig vorsichtiger. Der Handelsstreit und Covid-19 sind Unsicherheiten, die sich negativ auf den Absatz auswirken können, gegebenenfalls wird das Wachstum hierdurch mittelfristig begrenzt. FĂŒr Dr. Movinger ist klar, dass er am bisher erfolgreichen GeschĂ€ftsmodell festhalten wird. Die Firma ist schlieĂlich MarktfĂŒhrer im Luxussegment und wird ihre StĂ€rke weiter ausbauen. Risiken wird er durch ein neues Kosteneinsparprogramm abfedern. Ein Abbau von Overhead-KapazitĂ€ten wĂ€re ohnehin ein nĂ€chster Schritt gewesen und steht somit in jedem Fall an.
Im ersten GeschĂ€ftsfĂŒhrungsmeeting nach der Gesellschafterversam...