Kapitel 11:
Luzides TrĂ€umen â eine Technik zur BewĂ€ltigung von AlbtrĂ€umen
Das luzide TrÀumen haben wir schon im Kapitel vorher genauer beschrieben. Luzides TrÀumen befÀhigt eine Person, ihren eigenen Weg der Integration unbewusster Aspekte in die Gesamtpersönlichkeit zu finden. Wenn Patientinnen und Patienten mit AlbtrÀumen zu uns kommen, richtet sich unsere Vorgehensweise nach den folgenden Prinzipien:
1) Das ist »nur« ein Traum! Im Klartraum kommt noch ein wesentliches Prinzip dazu, wodurch das Problem des empfundenen Realismus mit einem Schlag beseitigt wird und dem TrÀumer ermöglicht, sich auf die emotionale Problemlage zu besinnen. Die Erkenntnis des TrÀumers, dass seiner körperlichen Existenz kein realer Schaden droht, eröffnet ihm trotz anhaltender Angst die Möglichkeit eines verÀnderten, differenzierteren und auch kontrollierteren Verhaltens und damit das Durchbrechen verinnerlichter, negativer Erwartungshaltungen.
2) Bewusste Konfrontation mit den angsterregenden Traumbildern und Traumfiguren: Im luziden Traum hat der TrÀumer die Möglichkeit, nachdem er den Traumzustand erkannt hat, seine Handlungen bewusst setzen zu können. Der TrÀumer kann sich entscheiden, nicht mehr vor z. B. einem Monster davonzulaufen, sondern zunÀchst mal sich zu verstecken, um den Bedroher aus sicherer Entfernung zu betrachten. Der TrÀumer hat also die Wahl. Er ist dem Sog der Angst im Albtraum nicht mehr völlig ausgeliefert, sondern hat plötzlich Alternativen. Im besten Fall versucht er mit dem Bedroher aus sicherer Entfernung oder einem sicheren Versteck in den Dialog zu finden.
3) VerÀnderung der Traumhandlung: wird durch die Konfrontation und/oder das bewusste Entscheiden möglich; Kontrollverlust wird zu Selbstverantwortung. Eine Interaktion, ein In-Kontakt-Kommen mit bedrohlichen Traumfiguren nimmt ihnen das Schreckliche und ermöglicht Auseinandersetzung und damit Integration dieser negierten Anteile.
4) Die Bedeutung des Traumes lĂ€sst sich wĂ€hrend des Traums erschlieĂen und transformieren: Im Klartraum ist es möglich zu erkennen, was der Traum bedeutet oder welche Problematik er abhandelt. Gelingt das, begreift und verarbeitet der/die TrĂ€umerIn.
5) Handelt es sich aber um eine nicht verarbeitbare Erfahrung: ist das Wissen, dass man den Traum beeinflussen und auch beenden kann, ein sehr wertvolles Werkzeug fĂŒr die von den AlbtrĂ€umen Geplagten. Eine Möglichkeit, sich aus einem schrecklichen Traum zu wecken, ist, den Blick anzuhalten, d. h. im Traum einen Punkt zu finden, den man anstarrt. Denn durch dieses Anhalten des Blicks kann man sich am zuverlĂ€ssigsten wecken. Vermutlich sind wir ja â physiologisch gesehen â in einer REM-Periode â der Schlafphase der Rapid Eye Movements, der schnellen Augenbewegungen. Vermutlich korrespondiert der angehaltene Blick mit einem Anhalten der REM-Bewegungen und somit der REM-Phase, verlĂ€sst damit die Rahmenbedingung REM-Schlaf und erwacht. Der TrĂ€umer weiĂ jetzt, wie er den Notausgang finden kann.
Wird durch das KlartrĂ€umen nicht etwas unterdrĂŒckt, was sich dann in einem anderen Symptom ausdrĂŒcken muss? Wie gehandelt wird, hĂ€ngt auch im Klartraum vom TrĂ€umer selber ab. Es mag Situationen geben, wo es bereits hilft, sich aus einer getrĂ€umt gefĂ€hrlichen Lage retten zu können. Sicherlich ist das groĂe Ziel, die Ăngste durch das KlartrĂ€umen offenzulegen, zu konfrontieren und damit bewĂ€ltigen zu lernen, um sie sich dann zu eigen machen zu können. Manche AlbtrĂ€umer können das nur Schritt fĂŒr Schritt. Orientierung ist dabei wesentlich. Deshalb empfehle ich, wie bereits im Kapitel ĂŒber das luzide TrĂ€umen gesagt, kompetente Begleitung beim Erlernen und Anwenden des luziden TrĂ€umens â einen Traumcoach, der psychotherapeutisch geschult ist.
Wie unser Training im Detail entwickelt worden ist und welche Empfehlungen wir zum Verhalten im Traum geben, erfolgt nach gestalttherapeutischer Theorie und Haltung, die sich an Respekt, Ganzwerdung (Integration), KreativitÀt und Selbstorganisation orientiert.
Eine dieser von uns entwickelten Techniken nenne ich ĂŒbrigens LIRT: Lucid Image Rehearsal Therapy. Ich habe die IRT insofern abgewandelt, dass ich den TeilnehmerInnen nach dem Aufschreiben eines unangenehmen Traumes die Passagen des Traumes, die Wendepunkte oder, wie ein Drehbuchautor sagen wĂŒrde, die Plotpoints in diesem finden und hervorheben lasse, durch die der TrĂ€umer den Traumzustand hĂ€tte erkennen können. An diesen Punkten lasse ich jetzt den TrĂ€umer im Wachen mögliche neue Traumhandlungen fantasieren. Wenn er selber keine finden kann, frage ich die anderen GruppenteilnehmerInnen nach Ideen. Letztlich muss er sich fĂŒr eine davon entscheiden und den »neuen« Traum wiederum aufschreiben und jemandem vorlesen oder einfach laut lesen â das ist eine sehr effektive Ăbung!
Unser Forschungsprojekt ĂŒber AlbtrĂ€ume und Albtraumbehandlung »Kognition im Schlaf â eine therapeutische Intervention bei AlbtrĂ€umen«, gefördert vom JubilĂ€umsfonds der Ăsterreichischen Nationalbank, hat interessante Ergebnisse gebracht, die ich kurz schildern will (Holzinger & Klösch, 2006). Die Bezeichnung »Kognition im Schlaf« schien uns fĂŒr NaturwissenschaftlerInnen akzeptabler als Klartraum oder luzides TrĂ€umen.
Voraussetzung der Teilnahme an dieser Studie war, dass man hĂ€ufig unter AlbtrĂ€umen litt (mehrmals pro Woche), deswegen nicht schlafen konnte und sich insgesamt dadurch sehr beeintrĂ€chtigt fĂŒhlte. Etwa die HĂ€lfte der AlbtrĂ€umerInnen, die an der Klartraumtrainingsgruppe teilnahmen, hat das luzide TrĂ€umen gelernt. Beim zweiten Durchlauf waren deutlich mehr TeilnehmerInnen erfolgreich. Im ersten Durchlauf ist mir leider erst in der 6. Sitzung klar geworden, dass die TeilnehmerInnen das KlartrĂ€umen ausschlieĂlich als unangenehme MĂŒhe zur BewĂ€ltigung der AlbtrĂ€ume â fast wie ein medizinisches Mittel â aufgefasst haben. Nicht im Traum hĂ€tte ich daran gedacht, dass jemand das KlartrĂ€umen als notwendiges Ăbel verstehen könnte! Das hat dazu gefĂŒhrt, dass die Begeisterung der TeilnehmerInnen, gelinde gesagt, mĂ€Ăig war. Was wiederum zur Folge hatte, dass nur etwa die HĂ€lfte der TeilnehmerInnen das KlartrĂ€umen auch nur annĂ€hernd erlernt haben. Aber, die Gruppenleiterin hat dazugelernt! Genau das habe ich der Klartraumgruppe des zweiten Durchgangs erzĂ€hlt und immer wieder betont, was fĂŒr eine Freude und was fĂŒr ein Schatz das KlartrĂ€umen ist und dass die AlbtraumbewĂ€ltigung eigentlich mehr ein Nebenprodukt dieses wunderbaren Zustands ist. Und â es hat gewirkt, und wie!
In der zweiten Gruppensitzung berichtete Corinna, deren Traum Sie weiter unten lesen können, von einem wunderbaren, voll ausgebildeten Klartraum, mit dem sie bereits eines ihrer Albtraumthemen hat bewĂ€ltigen können. Das hat wiederum die anderen angesteckt und dazu gefĂŒhrt, dass bis auf zwei TeilnehmerInnen dieser Gruppe alle das KlartrĂ€umen erlernt haben und auch ihre AlbtrĂ€ume deutlich reduzieren konnten oder fĂŒr andere sich der Schreck, der mit den AlbtrĂ€umen verbunden war, in ein schaurig-schönes Schreckchen verwandelt hat.
Denen, die sich den TrĂ€umen und den AlbtrĂ€umen ausgeliefert gefĂŒhlt haben, hat es bereits sehr geholfen zu erfahren, dass es eine Möglichkeit gibt, einen schrecklichen Traum zu beenden, und dass TrĂ€ume nicht gottgegeben sind, sondern selbst gemacht und deshalb beeinflussbar sind.
FĂŒr andere waren die AlbtrĂ€ume dadurch keine Horrorerlebnisse mehr, sondern kleine Thriller, und manchen ist es gelungen, völlig neue Handlungen zu erleben oder klare Erkenntnisse zu gewinnen.
Die Frage, ob die KlartraumĂŒbungen und das KlartrĂ€umen eine Hilfestellung zur BewĂ€ltigung von AlbtrĂ€umen bietet, wurde mit Ausnahme einer Person von allen anderen StudienteilnehmerInnen positiv beantwortet.
Luzides TrÀumen ist also eine erlernbare, anwendbare und hervorragende Technik, um AlbtrÀume zu bewÀltigen!
Im Durchschnitt hat die AlbtraumhĂ€ufigkeit von 2 â 3-mal pro Woche auf 2 â 3-mal pro Monat reduziert werden können! In beiden Gruppen war eine hoch signifikante Verbesserung der SchlafqualitĂ€t (PSQI) zu beobachten.
Dennoch: Interessant fĂŒr mich war, dass beinahe alle GruppenteilnehmerInnen im Zuge der Therapie traumatisierende Erlebnisse berichtet und als Quelle ihrer AlbtrĂ€ume identifiziert haben. Egal, ob der oder die Betreffende noch zusĂ€tzlich mit einer Diagnose lebte, wie Angststörung, Depression oder Borderline. Die Frage, ob hinter den meisten »psychischen Störungen« traumatisierende Erlebnisse stehen und ob eine Art Veranlagung oder der Zeitpunkt und die Rahmenbedingungen der Traumatisierung ausschlaggebend sind, welche Störung es sein wird, ist fĂŒr mich zum Thema geworden!
Zusammenfassend ist zu sagen, dass Kognition im Schlaf, also luzides TrĂ€umen oder KlartrĂ€umen, eine erlernbare und zur BewĂ€ltigung von AlbtrĂ€umen aus verschiedenen GrĂŒnden höchst geeignete Technik ist, die sogar die SchlafqualitĂ€t deutlich verbessert, insbesondere wenn es von gestalttherapeutischem Denken begleitet und integriert wird, und das unabhĂ€ngig von der Ursache der AlbtrĂ€ume!
Carry Hauser (1895 â 1985), ein Maler, der fĂŒr seine kubistischen GemĂ€lde bekannt ist, hat beide Weltkriege des letzten Jahrhunderts miterlebt und schrecklich unter den AlbtrĂ€umen gelitten, die durch die Kriegswirren, die ihm widerfahren sind, entstanden sind. Er hat versucht, sich dadurch zu helfen, dass er diese AlbtrĂ€ume und auch andere TrĂ€ume aufgezeichnet hat. Ich finde seine Zeichnungen sehr aufschlussreich, wenn man sich vorstellen will, wie die AlbtraumbewĂ€ltigung, wie wir sie empfehlen, im Zustand des KlartrĂ€umens vor sich gehen kann. Carry Hauser hat, soweit mir bekannt ist, zwar nicht klargetrĂ€umt, aber in seinen Zeichnungen einen AlbtraumbewĂ€ltigungsvorgang vollzogen, der mit dem, wie man im luziden TrĂ€umen vorgehen kann, identisch ist. Er zeigt, was passiert, wenn man die Courage entwickelt, vor beĂ€ngstigenden Figuren nicht mehr davonzulaufen, sondern wenn man sich ihnen stellt.
Im ersten Bild sieht man, wie das Traum-Ich sich wie das Kaninchen vor der Schlange fĂŒrchtet.
Im zweiten Bild, dieses bedrohliche Schlangenmonster konfrontierend, sich der Furcht also stellend, sieht man, dass diese Verkörperung der Angst beginnt, sich zu verwandeln, von der schrecklichen Schlange zu einer ansprechbaren und damit versteh- und integrierbaren Person⊠Und damit diese ĂŒberflutende Angst transformiert in Mut, psychotherapeutisch gesprochen, in Ich-StĂ€rke
Man sieht, wie sich die Schlange im zweiten Bild noch mehr aufgerichtet hat und beinahe schon menschliche Gestalt angenommen hat. Diese menschliche Gestalt ist bereits hinter ihr aufgetaucht.
Denn die Angst vor der Angst macht den Bedroher mĂ€chtiger und mĂ€chtiger ⊠das hat auch schon Freddy KrĂŒger gewusst. Wes Craven, der Autor von »Nightmare on Elmstreet« und Erfinder von Freddy KrĂŒger, kennt sich beim TrĂ€umen aus, denn er ist recht gut mit Stephen LaBerge befreundet und hat sich von ihm bei der Darstellung von AlbtrĂ€umen und deren BewĂ€ltigung beraten lassen. FĂŒr alle AlbtrĂ€umer: In »Nightmare on Elmstreet« sieht man auch, wie man AlbtrĂ€ume bewĂ€ltigen kann â als kleine Warnung: es handelt sich dabei um ein Horror-B-Movie und ist fĂŒr Kinder â unter und ĂŒber 16 Jahren â nicht geeignet.
Um einen plastischen Eindruck zu geben, wie AlbtrĂ€ume mittels luzidem TrĂ€umen zu bĂ€ndigen sind, gebe ich hier die schon angekĂŒndigte Traumsequenz von Corinna, einer Teilnehmerin der Forschungsgruppe, wieder. Corinna ist eine junge Frau, alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Sie erzĂ€hlt ihren Traum:
»Ich sitze in einem Bus, vorne in der ersten Reihe, in Fahrtrichtung auf der rechten Seite. Am Fenster sitzt ein Mensch, mit dem ich mich sehr nett unterhalte. Ich sitze an der Gangseite, direkt neben ihm. Irgendwann ist (von meiner Seite aus) alles gesagt, ich bin glĂŒcklich und zufrieden, fĂŒhle mich gut. Ich verspĂŒre den Impuls aufzustehen. Ich stehe also auf, gehe den Gang entlang in den hinteren Teil des Busses. Im hinteren Drittel sitzt (gegen Fahrtrichtung rechts) ein Mann am Fenster. Ich setze mich neben ihn, und wir fangen an, miteinander zu reden. Ich empfinde groĂe GlĂŒcksgefĂŒhle, es ist ein sehr inspirierendes, angenehmes GesprĂ€ch. In dem Moment, als ich anfange, sexuelle GefĂŒhle zu haben, passiert etwas AuĂergewöhnliches: Die Situation fĂŒhlt sich bedrohlich an. Ich schaue mich um und sehe, wie von beiden Seiten des Ganges MĂ€nner auf meinen Platz zukommen. Von einer Seite einer, von der anderen Seite zwei. Alle haben Skalpelle oder Messer in der Hand. Sie kommen in gleichbleibender Geschwindigkeit langsam auf mich zu. Ein GefĂŒhl von Panik macht sich in mir breit. Ich sehe die MĂ€nner an, schaue ihnen in die Augen. Sie sind wie hypnotisiert, spulen ihren Film ab, ich kann sie nicht (auf Herzebene) erreichen. Das Schlimmste ist: Ich weiĂ, dass sie mich aufschlitzen wollen. Ich habe Angst. Todesangst. Ich will nicht aufgeschlitzt werden. ICH WILL DAS NICHT!
Das scheint das Stichwort fĂŒr mein Wach-Bewusstsein zu sein, sich im Traum einzuschalten. Wie war das noch? âșWenn ihr etwas trĂ€umt, das euch Ă€ngstigt oder was ihr nicht trĂ€umen wollt, dann könnt ihr euch auf einen Punkt konzentrieren, oder so Ă€hnlich.âč
Jedenfalls schaltet sich mein Bewusstsein ein, mischt sich in den Traum ein:
Ein wacherer Teil meines Selbst (nicht das verĂ€ngstigte Traum-Ich) sagt (quasi als Antwort auf das âșIch will nicht aufgeschlitzt werden!âč): âșHey, probier das doch einfach mal aus, was du heute in der A...