Kapitel 1: Neuer Fall, alte Bekannte
Dicke Wolken hĂ€ngen ĂŒber der Stadt, schon wieder ein grauer Herbsttag in Wien ⊠Gibt es heute noch Regen? Vielleicht sollte ich einen kleinen Urlaub machen, weg von dem schlechten Wetter? Nach Italien? Rom? Oder nach Deutschland? Berlin? MĂŒnchen?
Keine schlechte Idee. Ich glaube, ich schlieĂe mein DetektivbĂŒro fĂŒr ein paar Tage. Ich habe ja gerade keinen Fall. Ich âŠ
Mein Telefon klingelt.
Vielleicht ein neuer Fall? Soll ich ans Telefon gehen? Oder soll ich lieber sagen: Fender ist im Urlaub, bitte rufen Sie nÀchste Woche noch einmal an?
Ach was, natĂŒrlich antworte ich. Urlaub machen kann ich auch spĂ€ter noch.
âDetektivbĂŒro Fender.â
âHerr Fender, ich brauche Ihre Hilfe. Mein GroĂvater âŠâ
âGuten Tag, wer spricht bitte?â
âAch, Entschuldigung, hier ist Julia Kalman. Wissen Sie noch, wer ich bin?â
âHallo Julia, natĂŒrlich weiĂ ich das noch. Wie geht es Ihnen?â
Ich habe Julia vor ein paar Monaten kennengelernt, da habe ich den Mordfall an einer FuĂballspielerin gelöst. Die Tote war Julias beste Freundin. Sie hat mir damals einen wichtigen Tipp gegeben.
âMir geht es gut, danke. Aber mein Opa ⊠er ist verletzt.â
âDas tut mir sehr leid ⊠aber wie kann ich Ihnen da helfen?â
âJemand hat meine GroĂeltern ausgeraubt. Mein Opa ist jetzt im Krankenhaus âŠ!â
âOkay, Julia, ich komme gleich. Ihre Adresse habe ich ja noch.â
Also kein Urlaub ⊠Nur eine Reise durch die halbe Stadt, in den 13. Bezirk. Dort haben Julias GroĂeltern ein Haus. Und Julia wohnt bei ihnen im ersten Stock.
âKommen Sie hereinâ, sagt Julia und öffnet die TĂŒr. âDas ist meine GroĂmutter, Maria Kalman.â
âGuten Tag, Frau Kalman.â
âGuten Tag, Herr Fender. Danke, dass Sie so schnell gekommen sind.â
âWas ist denn nun genau passiert?â
âEs war gestern in der Nacht, wir haben alle schon geschlafenâ, sagt Frau Kalman. âMein Mann ist aufgewacht, weil er etwas gehört hat, und ist ins Wohnzimmer gegangen. Dann habe ich einen Schrei gehört und dann war alles wieder still. Ich bin aufgestanden und ins Wohnzimmer gelaufen. Da ist mein Mann gelegen und an seinem Kopf war Blut. Er war allein, aber die TĂŒr zum Garten war offen.â
âWir haben dann gleich einen Arzt gerufenâ, sagt Julia. âUnd die Polizei.â
âUnd was hat die Polizei gesagt?â
âDie Polizisten waren sehr nett und haben sich gut um uns gekĂŒmmertâ, sagt Frau Kalman. âAber sie haben gemeint: âWir tun unser Bestes, es ist aber nicht sehr wahrscheinlich, dass wir den Einbrecher finden. Im Moment gibt es sehr viele EinbrĂŒche.ââ âDeshalb sollen Sie uns helfen!â, sagt Julia. âHaben Sie gerade einen anderen Fall? Oder können Sie fĂŒr uns arbeiten?â
âIch helfe Ihnen gerne.â
âSehr gut ⊠Fender â Schneller als die Polizei!â, sagt Julia und lĂ€chelt.
âGenau. Schneller als die Polizei.â Ich lache. Das steht auf meiner Webseite. Und meistens stimmt es auch âŠ
âHaben die Einbrecher eigentlich etwas gestohlen?â, frage ich. âEine chinesische Vase.â
âSonst nichts?â
âEs ist eine besondere Vaseâ, sagt Julia. âSie ist ĂŒber 200 Jahre alt. Mein Opa hat sie von seinem Vater bekommen, und der wieder von seinem Vater und so weiter.â
âDeshalb wollen wir die Vase auch unbedingt wiederhaben.
Sie gehört zu unserer Familieâ, sagt Julias GroĂmutter.
âMein Opa sagt immer, dass der chinesische Kaiser Qianlong die Vase im 18. Jahrhundert seiner Familie geschenkt hat.â
Qianlong, 1711 â1799, berĂŒhmter chine-sischer Kaiser
âIch glaube nicht, dass das stimmtâ, meint Frau Kalman.
âAber die Vase ist trotzdem etwas Besonderes fĂŒr uns.â
âIst sie denn wertvoll?â, frage ich.
âIch weiĂ es nichtâ, antwortet sie. âAber was ich nicht verstehe: Es gibt hier im Haus etwas viel Wertvolleres. Und das hat den Dieb nicht interessiert.â
âWas denn?â, frage ich.
Julias GroĂmutter zeigt mir ein Bild.
âWowâ, sage ich, âdas ist wirklich wertvoller âŠâ
der Detektiv, der Fall, der Mord, ausrauben: â S. 8
der Bezirk:Stadtteil von Wien
der Schrei, der Einbrecher, der Einbruch: â S. 8
lÀcheln: leise lachen
stehlen, wertvoll, der Dieb: â S. 8
die Vase: dort stellt man Blumen ins Wasser
der Kaiser: frĂŒher der Chef in einem groĂen Land, z. B. in China
Kapitel 2: Doch noch eine Reise?
âDas ist doch ein Bild von Egon Schiele, oder?â, frage ich.
Egon Schiele, 1890 â 1918, berĂŒhmter österreichischer Maler Egon Schiele,
âJa, genauâ, sagt Frau Kalman.
âDas muss Millionen wert sein.â
âMein Mann hat es gefunden.â
âGefunden?â
âJa, das war sogar in der Zeitungâ, sagt Julia. âSehen Sie âŠâ
Sie gibt mir einen Zeitungsartikel. Oben steht ein Datum, er ist eine Woche alt. Auf einem Foto sieht man Herrn Kalman in seinem Wohnzimmer und im Hintergrund steht die chinesische Vase â dieser Platz ist jetzt leer.
Wien. MiloĆĄ Kalman hatte groĂes GlĂŒck. Er hat ein Bild von Egon Schiele â einfach gefunden. Er erzĂ€hlt: âMein Onkel ist vor einem Jahr gestorben und ich habe jetzt endlich in seinem alten Haus Ordnung gemacht. In einem Schrank habe ich viele Bilder gefunden. Und dort war auch dieses besondere Bild âŠâ
âDer Polizist hat gemeint, der Einbrecher wollte wahrscheinlich auch das Bild stehlenâ, sagt Julia. âAber mein GroĂvater ist ins Zimmer gekommen und hat ihn gestört, und da ist er dann schnell geflohen.â
âDas glaube ich nicht. Der Einbrecher hat Ihren GroĂvater niedergeschlagen. Es dauert nur zwei Sekunden, das Bild zu nehmen und wegzulaufen. Die Zeit hatte er. Nein, ich glaube, er wollte die Vase. Die Frage ist: Warum?â
âKeine Ahnungâ, sagt Julia.
âWir mĂŒssen mehr ĂŒber die Vase wissen. Warum war sie dem Dieb so wichtig?â
âOkay, wo fangen wir an?â, will Julia wissen.
âFrau Kalman, haben Sie vielleicht ein Foto von der Vase?
Ich kenne ein gutes GeschĂ€ft fĂŒr chinesisches Porzellan. Dort wĂŒrde ich gerne nachfragen.â
Julia und ich fahren mit der U-Bahn zum Naschmarkt. Dort gibt es viele chinesische GeschÀfte.
âGuten Tag, mein Name ist Fenderâ, sage ich zu einer VerkĂ€uferin in dem PorzellangeschĂ€ft. âKönnen Sie mir vielleicht etwas zu dieser Vase sagen?â Ich zeige ihr das Foto, das mir Frau Kalman gegeben hat.
Die VerkÀuferin sieht es nu...