So eine Arbeit wird eigentlich nie fertig, man muss sie fĂŒr fertig erklĂ€ren, wenn man nach der Zeit und den UmstĂ€nden das Möglichste getan hat.
(Johann Wolfgang von Goethe, Italienische Reise, Caserta, 16. MĂ€rz 1787)
Zahlreiche Verben des Deutschen können â unter gewissen pragmatischen Bedingungen â ihre Komplemente unrealisiert lassen. Dabei zeigen Beispiele wie in (1), dass Komplementweglassung im Deutschen zweifellos durch die Verbwahl beschrĂ€nkt wird: WĂ€hrend etwa das Verb essen die Weglassung seines Akkusativkomplements problemlos erlaubt, blockiert das (weitestgehend) synonyme Verb verspeisen sie unter sonst gleichen Bedingungen1:
(1) a. Peter isst (einen Hamburger). (TvdB)
b. Peter verspeist *(einen Hamburger). (ebf.)
Deshalb wird die Option, ein Komplement unrealisiert zu lassen, in Standarddarstellungen zum Deutschen an der Valenz des jeweiligen Verbs festgemacht (vgl. Zifonun et al. 1997, Kap. E2.2). Waren weglassbare Komplemente2 fĂŒr Ă€ltere, zumeist monokriterial ausgerichtete Valenzmodelle konzeptuell noch problematisch, stellen sie fĂŒr neuere, multidimensional ausgerichtete Valenzkonzepte kein Problem mehr dar. In ihnen wird die Möglichkeit der Komplementweglassung auf eine vom Lexikon bereitgestellte reduzierte syntaktische Valenz (R-Valenz) mit einer entsprechend reduzierten syntaktischen Struktur zurĂŒckgefĂŒhrt (vgl. u. a. Jacobs 1993b, 1994b, 2003). AusfĂŒhrliche Darstellungen zum Thema Valenz allgemein sowie zu den fĂŒr nachfolgende Untersuchungen bedeutsamen sog. fakultativen ErgĂ€nzungen finden sich in Kapitel 2.
Die Tatsache, dass einige Verben Komplementweglassung erlauben und andere nicht, wird traditionell als lexikalische Idiosynkrasie analysiert (vgl. Glass 2014: 121). Allerdings zeigt sich, dass die Möglichkeit, Komplemente von Verben unrealisiert zu lassen, stĂ€rker variiert als nach gĂ€ngigen Theorien zu erwarten wĂ€re. So können z. B. in AufforderungssĂ€tzen und SĂ€tzen mit nicht episodischer (etwa generischer) Interpretation hĂ€ufig Komplemente weggelassen werden, die in normalen DeklarativsĂ€tzen, wie sie ĂŒblicherweise zur Diagnose von (Nicht-)WegÂlassbarkeit herangezogen werden, nicht fehlen dĂŒrfen3 (vgl. Jacobs 2011: 2), vgl. hierzu exemplarisch die Beispiele in (2):
(2) a. Zeig mal (das Foto)! (ebd. 5)
aâČ. Sie zeigt *(das Foto). (ebd.)
b. Sie versteht es, (jemanden) zu ĂŒberreden. (ebd.)
bâČ. Sie hat gestern versucht, ??(jemanden) zu ĂŒberreden. (ebd.)
FĂŒr die nachfolgenden Ăberlegungen spielen solche konstruktionsbasierten Weglassungen, die in Kapitel 1.4 zur Abgrenzung noch nĂ€her beschrieben werden, keine Rolle. Betrachtet werden ausschlieĂlich lexikalisch lizensierte Weglassungen, bei denen Komplementweglassung mit der Verbwahl zusammenhĂ€ngt.
Argumentweglassung lĂ€sst sich nicht nur danach kategorisieren, inwieweit ein bestimmtes Verb oder eine spezifische grammatische Konstruktion vorliegen muss, um Komplementweglassung zu erlauben. Es ist auch eine Kategorisierung nach der Interpretation, die das weggelassene Argument erhĂ€lt, möglich4. So fĂŒhrt die (syntaktische) Weglassung eines Komplements keineswegs dazu, dass âdie entsprechende EntitĂ€t [âŠ] auch semantisch aus dem Blickfeld verschwindetâ Â(Engelberg 2003: 61). Vielmehr âbleibt das entsprechende semantische Argument in der Bedeutung des Satzes in einer unterspezifizierten Form prĂ€sentâ (Jacobs 2011: 7). Die Art, wie ein solches implizites Argument interpretiert werden muss, hĂ€ngt einerseits von der Verwendungssituation ab; Âandererseits unterliegt die Interpretation impliziter Argumente auch grammatischen ÂRestriktionen. Seit geraumer Zeit werden implizite Argumente in der internationalen ÂForschungsliteratur zur Argumentweglassung z. B. in sog. indefinite und Âdefinite (vgl. u. a. Fillmore 1971b, 1986) unterteilt. Bei Verben mit definit impliziten ÂArgumenten muss das weggelassene Argument den Diskursteilnehmern bekannt sein, es muss also vorerwĂ€hnt oder aus dem unmittelbaren (Diskurs-) Kontext herleitbar sein (vgl. Ruppenhofer 2004: 403). Intransitives einwilligen ist z. B. nur so zu verstehen, âdaĂ es etwas ĂŒber den Kontext Identifizierbares gibt, in das jemand einwilligtâ (Engelberg 1997: 11). Ausbleibende IdenÂtiÂfiÂzierÂbarÂkeit fĂŒhrt dagegen zu einer Minderung der AkzeptabilitĂ€t in entsprechenden KonÂtexten5, vgl. (3):
(3) a. Es klopft an der TĂŒr und ein Kunde tritt ein. Erich möchte das BeratungsgesprĂ€ch zunĂ€chst lieber seinem Kollegen zuschieben, willigt dann aber ein. (TvdB)
b. Es klopft an der TĂŒr und ein Kunde tritt ein. *Nach kurzem Zögern willigt Erich ein. (ebf.)
Bei Verben mit indefinit impliziten Argumenten dagegen muss das, was weggelassen wird, nicht aus dem Diskurskontext herleitbar sein. In diesem Sinne kann intransitives lesen in (4) verwendet und verstanden werden, ohne dass aus dem Kontext zu identifizieren ist, was gelesen wird:
(4) Eva drĂŒckt die Ohrstöpsel tiefer in die Ohren und liest. (TvdB)
Die Unterscheidung zwischen definiten und indefiniten Weglassungen wird in der Literatur zunehmend kritisch betrachtet. Mit Blick auf Beispiele wie in (5) wird darauf hingewiesen, dass vor allem die Beschreibung indefinit impliziter Argumente in gewisser Weise vereinfacht ist (vgl. Engelberg 2002: 401). Entsprechende Beispiele zeigen, dass Verben wie lesen âweder fordern noch verbieten, daĂ ihr Referent bereits in den Diskurs eingefĂŒhrt worden istâ (Jacobs 1994b: 298). WĂ€hrend z. B. in (4) das, was von Eva gelesen wird, im Kontext nicht nĂ€her spezifiziert wird, ist in (5) das, was Eva liest â nĂ€mlich ein Buch â aus dem Kontext direkt herleitbar:
(5) Eva drĂŒckt die Ohrstöpsel tiefer in die Ohren, schlĂ€gt ihr Buch auf und liest. (ebf.)
Die intransitive Variante von lesen erlaubt somit offensichtlich definite und indefinite Lesarten, weshalb das implizite Argument in der Literatur auch als definitÂheitsneutral6 bezeichnet wird (vgl. Dentler 1990; Jacobs 1994b).
Weitere Parameter, nach denen implizite Argumente lexikalisch beschrieben werden können, illustrieren die nachfolgenden Beispiele (vgl. auch Jacobs 1993b, 1994b, 2003; Engelberg 1997):
(6) a. Als es an der TĂŒr klingelt, steht Renate auf und öffn...