Die Fallen des Multikulturalismus
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Die Fallen des Multikulturalismus

Laizität und Menschenrechte in einer vielfältigen Gesellschaft

Cinzia Sciuto, Johannes von Vacano

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Die Fallen des Multikulturalismus

Laizität und Menschenrechte in einer vielfältigen Gesellschaft

Cinzia Sciuto, Johannes von Vacano

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Über dieses Buch

Die Gesellschaften Europas, in denen wir heute ­leben, werden zunehmend komplex. Ethnische, religiöse und kulturelle Konflikte durchziehen sie und machen eine Suche nach neuen Entwürfen des Zusammenlebens erforderlich. Will eine Gesellschaft kulturelle Vielfalt und Persönlichkeitsrechte unter ­einen Hut bringen, das zeigt Cinzia Sciuto in ihrem Buch, muss sie zwischen Staat und Religion unterscheiden. Sie muss laizistisch sein. Laizität ermöglicht den diversen Spielarten von Religionen und Weltsichten erst, in einer pluralistischen Gesellschaft nebeneinander zu existieren. Sie garantiert auf der einen Seite die Religionsfreiheit, gleichzeitig legt sie jedoch Prinzipien fest, von denen nicht abgewichen werden darf, auch nicht im Namen irgend­einer Gottheit. Laizität ist die vorpolitische Voraus­setzung für ein ziviles Zusammenleben in einer komplexen Gesellschaft, in dem die Freiheiten und Menschenrechte von allen respektiert werden.Dieser politische Essay in der Art wie die von Carolin Emcke oder Hamed Abdel-Samad zeigt die problematische Kehrseite des Multikulturalismus. Wo Anerkennung und Respekt für die Identitäten der diversen ethnischen, religiösen und kulturellen Bestandteile einer Gesellschaft eingefordert werden, läuft man Gefahr zu vergessen, dass jeder Einzelne Träger seiner subjektiven Rechte ist und keine Gruppenzugehörigkeit diese ihm streitig machen kann. Cinzia Sciuto stellt die Prioritäten wieder auf die Füße: Das Individuum ist Träger von Identitäten und Zugehörigkeiten, anstatt dass es von seiner Zugehörigkeit definiert wird.

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1.Laizität als Voraussetzung der Demokratie

»Die moderne Kultur beruht auf dem Prinzip der Freiheit, wonach der Mensch nicht zum Werkzeug seiner Artgenossen herabgewürdigt werden darf, sondern als selbständiges Lebenszentrum aufgefasst wird.«
Ernesto Rossi, Altiero Spinelli und Eugenio Colorni, Manifest von Ventotene

Laizisten und Gläubige, ein falscher Gegensatz

Rund um den Begriff der Laizität und seine Derivate tobt ein terminologischer Kampf, hinter dem sich ein ideologischer verbirgt. Das Verwenden eines Wortes, den man eine andere, leicht verschobene Bedeutung verleiht, als das Gegenüber ihm zuschreibt, ist ein rhetorischer Zug, der genauso verbreitet wie intellektuell unaufrichtig ist. Daher ist es so wichtig klarzustellen, in welcher Bedeutung das Wort Laizität hier verwendet wird.
Einer der geläufigsten Kniffe, um den Diskurs rund um diesen Begriff zu diskreditieren, besteht darin, die Laizität der Religion beziehungsweise der Religiosität gegenüberzustellen und »laizistisch« als Gegenteil von »gläubig« zu verwenden. So werden künstlich zwei Fronten geschaffen, die der Glaube voneinander trennt, und die Grundlagen für eine endlose Folge von Missverständnissen gelegt.
Stellen wir also klar: Der Widersacher des Laizisten ist nicht der Gläubige, sondern der Fundamentalist1, und die Trennlinie zwischen diesen beiden Fronten ist nicht der Glaube, sondern der Anspruch, dass das bürgerliche Zusammenleben gemäß den Prinzipien des (eigenen) Glaubens organisiert sein müsse und dass die Rechte des Einzelnen den Dogmen des (eigenen) Glaubens untergeordnet werden müssten. Anders gesagt, die Zäsur verläuft zwischen denen, die die (eigene) Religion über jedes andere normative System stellen und verlangen, dass sie erga omnes als absolutes Recht gelte (oder zumindest erga omnes innerhalb der eigenen »Gemeinschaft«2, was, wie noch zu zeigen sein wird, die Probleme nicht löst, sondern neue schafft), und denen, die hingegen innerhalb der Volksgemeinschaft religiöse Normen den Prinzipien der Verfassung und den Regeln unterordnen, die sich eine demokratische Gesellschaft gibt. Letzteres stellt keinen Widerspruch dazu dar, dass ein laizistischer Gläubiger sein Privatleben persönlich nach den Regeln seiner Religion ausgestaltet und dass diese Regeln in der Rangordnung seiner subjektiven Handlungsmaximen ganz oben stehen. Anders gefasst, für den Fundamentalisten ist, ob er gläubig ist oder nicht, die (eigene) Religion die Grundnorm3 der bürgerlichen Ordnung, während für den Laizisten, ob er gläubig ist oder nicht, die Grundnorm der bürgerlichen Ordnung einen konstitutionellen Pakt darstellt, der die Rechte und Freiheit aller sichert.
Der laizistische Entwurf, so Marcel Gauchet, »steht den weltlichen Ansprüchen der Kirche frontal feindlich gegenüber, nicht jedoch der Religion an sich. Das Einzige, was [er] von den Gläubigen verlangt, ist, dass sie sich ihre persönliche Hoffnung auf Erlösung für das Jenseits aufheben und sich darauf einlassen, im Diesseits das Gesellschaftsspiel der Autonomie mitzuspielen.«4 Gauchet bezieht sich hier auf die katholische Kirche, aber was er sagt, gilt natürlich für sämtliche Religionen.
Zu unserem Glück gibt es unter Gläubigen (aller Religionen) viele Laizisten, genauso wie es im Gegenzug zu unserem Leidwesen in der Welt der Nichtgläubigen von Fundamentalisten nur so wimmelt, also von Personen, die zwar nicht gläubig sind, aber nichtsdestoweniger die Meinung vertreten, dass das gesellschaftliche Miteinander und das öffentliche Leben in Übereinstimmung mit dem Moral- und Normensystem einer bestimmten kulturellen und religiösen Weltsicht organisiert sein müsse. Zu dieser letzten Kategorie gehören beispielsweise all jene, die während der Debatten über die europäische Verfassung, unabhängig vom eigenen Glauben, die Meinung vertraten, die »christlichen Wurzeln« müssten in die Grundrechtecharta der Europäischen Union aufgenommen werden. Grundwerte, die in eine Verfassung aufgenommen werden, verfügen über eine gewaltige normative Reichweite. Die christliche Kultur ist mit Sicherheit eine der vielen Wurzeln Europas, aber aus der gesamten Fülle ausgerechnet diesen einen Beitrag auszuwählen, hätte normativen Wert, nicht bloß deskriptiven. Es käme einer Proklamation gleich, dass Europa sich auf christliche Grundwerte berufen müsse.
Die Laizität ist also keinesfalls der Feind des Glaubens. Im Gegenteil, in einer komplexen Gesellschaft ist die Laizität der wertvollste Verbündete des Glaubens, besser der Glaubensrichtungen. Auch die Gläubigen, alle, nicht bloß die Anhänger der großen Konfessionen, profitieren von einem sozialen Kontext, in dem die Religion Privatsache ist und der Staat allen, nicht bloß den verbreitetsten, mächtigsten, am besten organisierten und reichsten Glaubensrichtungen, die Freiheit zusichert, den eigenen Glauben zu zelebrieren oder auch gar keinem Glauben anzuhängen, und zwar indem der Staat, allgemeiner gesprochen, jedem, ganz gleich ob gläubig, andersgläubig oder nicht gläubig, Grundrechte gewährleistet – eine Aufgabe, die, wie noch zu zeigen sein wird, den Einflussbereich des Staates nicht einschränkt, sondern eher erweitert.
Die Religion in die Privatsphäre eines und einer jeden zu verlagern bedeutet keinesfalls, dass die kollektive Dimension des Glaubens unmöglich gemacht wird. Vielmehr gehen damit zwei Dinge einher: Erstens dürfen weder eine bestimmte Religion noch Religionen im Allgemeinen den öffentlichen Raum strukturieren, also den Raum, in dem allgemeine und gemeinsame Regeln gelten, was andernfalls einer Diskriminierung von Andersgläubigen und Nichtgläubigen gleichkäme. Zweitens darf keiner Religion – wie auch keiner politischen, philosophischen und spirituellen Haltung – zugebilligt werden, die Grundrechte der einzelnen Mitglieder der politischen Gemeinschaft zu verletzen; gemeint sind damit die einzelnen Bürger, ungeachtet ihres Glaubens, einschließlich der Mitglieder der eigenen »Gemeinschaft«.
Die Aufgabe des laizistischen Staates besteht darin, einerseits den öffentlichen Raum und andererseits die Rechte der und des Einzelnen zu schützen. Diese Auslegung der Laizität erfordert es, dass eine Reihe politischer Maßnahmen ergriffen werden, angefangen bei der Schul- und Kulturpolitik, um diese beiden Ziele zu erreichen. Es geht also für den Staat nicht darum, eine bloß gleichgültige Haltung gegenüber den diversen Konfessionen einzunehmen, genauso wenig darum, eine vermittelnde Schiedsrichterrolle zwischen ihnen zu spielen, sondern vielmehr darum, all jene Voraussetzungen zu garantieren – und es sind nicht wenige –, die es jeder einzelnen Bürgerin und jedem einzelnen Bürger ermöglichen, das eigene Leben und den eigenen Wertehorizont autonom zu gestalten.
Laizität wird hier folglich als eine transzendentale Voraussetzung der Demokratie verstanden, nicht als der eine Pol einer Symmetrie, sondern als vorpolitische Notwendigkeit für das zivile Zusammenleben in einer komplexen Gesellschaft, in der ein Weber’scher »Polytheismus der Werte« herrscht, ein Hilfsmittel, das »einen konstitutionellen Raum [kennzeichnet], der allen Zusammenleben und Austausch ermöglicht«.5
Unbestreitbar muss der oder die Gläubige, wenn er oder sie das Prinzip der Laizität akzeptiert, in einem gewissen Maß die Relativität des eigenen Glaubens anerkennen und auf fast schon kantianische Weise zugestehen, dass der Glaube ein »nur subjektiv zureichend[es …] Fürwahrhalten«6 darstellt, aber, im Gegensatz zum Wissen, nicht für alle unwiderlegbar ist. Dieses Zugeständnis ist vollkommen kompatibel mit einem starken Glauben: »Der Ausdruck des Glaubens ist […] ein Ausdruck der Bescheidenheit in objectiver Absicht, aber doch zugleich der Festigkeit des Zutrauens in subjectiver.«7 Einen laizistischen Standpunkt einzunehmen bedeutet für eine Gläubige oder einen Gläubigen demnach nicht, den eigenen Glauben in Zweifel ziehen zu müssen, sondern vielmehr das Akzeptieren der Vorstellung, dass er, da er kein objektiv gültiges Fürwahrhalten ist, nicht der Maßstab für das öffentliche Leben sein kann.

Laizität und Säkularisierung, nicht nur im Westen

Ein weiteres Missverständnis, das es auszuräumen gilt, erachtet die Laizität als einen rein westlichen Wert und betreibt den in ihrem Namen ausgefochtenen Kampf als eine Art Fortsetzung des Kolonialismus mit anderen Mitteln. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen politischer Macht und Religion, zwischen religiöser Gemeinschaft und politischer Gemeinschaft, also die Frage der Laizität ist, ganz im Gegenteil, keine Prärogative des Westens, sondern so etwas wie ein universaler Topos in der Menschheitsgeschichte. Es handelt sich um eine Fragestellung, mit der sich etwa auch die muslimische Gesellschaft seit dem Tode Mohammeds auseinandergesetzt hat.
In seinem Essay L’Islam est-il hostile à la laïcité?8 erklärt Abdou Filali-Ansary, dass der Ablösungsprozess zwischen politischer Macht und religiöser Sphäre nach der ersten Phase des Kalifats in Gang gekommen ist, als das ottomanische Reich sich ausdehnte und ein gewisser Grad an Bürokratisierung des gesellschaftlichen Lebens notwendig wurde. Dieser Prozess stellte sich als die wesentliche Trennscheide für die nachfolgenden Aufteilungserscheinungen innerhalb der muslimischen Welt heraus, wobei diese Ablösung von dem Bedürfnis ausging, die religiöse Sphäre vor den Vorstößen der politischen Macht zu schützen. Dieser von Filali-Ansary so benannte »mittelalterliche Kompromiss«9 ermöglichte es nämlich, der Schiedsgewalt der politischen Macht den in der Religion ruhenden Kern von moralischen Regeln zu entziehen. Es handelte sich bei diesem Kompromiss um eine Art Gleichgewicht, das der Zivilgesellschaft einen Grad an Autonomie gegenüber den politischen Autoritäten einräumte, die ihrerseits als legitim anerkannt wurden, solange sie sich nicht an besagtem Kern von Grundprinzipien vergriffen.10
Es handelt sich dabei freilich um eine Entwicklung mit Eigenheiten, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Unabhängig von den spezifischen Formen, die dieser Prozess in der muslimischen Welt angenommen hat (und je nach nationalem Kontext mit großen Unterschieden),11 muss für unseren Zusammenhang hervorgehoben werden, dass die komplexen Beziehungen zwischen Religion und politischer Macht sich stets im Zentrum der muslimischen Geschichte befanden. Keinesfalls war das bloß dem Abendland und genauso wenig dem Christentum vorbehalten.
Unabhängig davon fand auch in Europa die Säkularisierung zu unterschiedlichen Zeiten und auf unterschiedliche Weise statt. Besondere Differenzen bestanden zwischen den katholisch geprägten und den protestantischen Staaten. Selbst in dem Land, das heute gleichsam emblematisch für Laizität steht, in Frankreich, hat sich der Prozess, der zur Trennung von Staat und Kirche führte, weder schmerzfrei noch besonders schnell vollzogen. »Ein Jahrhundert hat es gedauert«, schreibt Gauchet, »bevor das Prinzip dieser Trennung und die Werte des demokratischen Individualismus bei den Gläubigen ankommen konnten.«12
Auf der Analyseebene muss man allerdings die Säkularisierung, also den historischen Prozess der Trennung von politischer Macht und religiöser Macht – einen Prozess, der wie gesagt mehr oder weniger überall mit unterschiedlichen Ausprägungen je nach soziopolitischem Kontext stattfindet –, von der Laizität als politischem Prinzip abgrenzen. Für Roy sind die Parameter, an denen beide Phänomene gemessen werden können, einerseits die Trennung von Kirche und Staat, woran sich der Grad der Säkularisierung ablesen lässt, und andererseits der Stellenwert, den die Religion in der Gesellschaft innehat, was das Maß an Laizität verdeutlicht.13
Akzeptiert man diese Unterscheidung, kann man sich ohne weiteres einen Staat vorstellen, der säkularisiert ist, aber nicht zur Gänze laizistisch. Als Beispiel sei auf die Vereinigten Staaten von Amerika verwiesen, ein vollkommen säkularisiertes, jedoch kaum laizistisches Land, in dem das öffentliche Leben reichlich von Religion durchsetzt ist, obwohl die Macht nicht bei religiösen Institutionen liegt. Allerdings gibt es Beispiele dieser Art in Hülle und Fülle und man kann mit Fug und Recht behaupten, dass so gut wie alle europäischen Länder säkularisiert sind, auch wenn nur wenige, wenn überhaupt welche, sich vollendet laizistisch nennen dürfen.
Vor diesem Hintergrund scheint auch Gauchets These vom »Austritt der Welt aus der Religion« nicht uneingeschränkt nachvollziehbar. Der Autor von Le désenchantement du monde14 liest die Geschichte des Verhältnisses von Staat und Kirche unter den Vorzeichen eines säkularen Aufeinandertreffens der »Partei der Autonomie« und der »Partei der Heteronomie«. Er vertritt dabei die Meinung, dass erstere, mit anderen Worten die Demokratie, metaphysisch betrachtet gewonnen habe, während ihre Gegenspielerin, verkörpert im Versuch der Religionen, das politische und gesellschaftliche Leben der gesamten Gemeinschaft zu strukturieren, im Grunde gescheitert sei. Die Folge dieses vermeintlichen Triumphs der Demokratie bestehe jedoch im Sinnverlust der Demokratie. Sei der »Feind« erst einmal beseitigt, verliere der laizistische Staat seine Autorität. Ihm fehle ein »metaphysischer« Entwurf, eine »umfassende Sinndoktrin«, die er der Partei der Heteronomie entgegensetzen könne. Gauchet beschreibt diese Phase als den »letzten theologisch-politischen Umschwung der Moderne«.15 Von diesem Standpunkt aus betrachtet, hätte die berüchtigte und immer wieder heraufbeschworene »Rückkehr der Religionen«16 laut Gauchet rein gar nichts mit ihrer Fähigkeit zu tun, die politische Struktur zu formen, sondern wäre vielmehr eine Folge des Austritts der Welt aus der Religion. Dieser Zustand bewirke nämlich, dass die Religio...

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