Die Fallen des Multikulturalismus
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Die Fallen des Multikulturalismus

LaizitÀt und Menschenrechte in einer vielfÀltigen Gesellschaft

Cinzia Sciuto, Johannes von Vacano

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  1. 180 pages
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LaizitÀt und Menschenrechte in einer vielfÀltigen Gesellschaft

Cinzia Sciuto, Johannes von Vacano

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À propos de ce livre

Die Gesellschaften Europas, in denen wir heute ­leben, werden zunehmend komplex. Ethnische, religiöse und kulturelle Konflikte durchziehen sie und machen eine Suche nach neuen EntwĂŒrfen des Zusammenlebens erforderlich. Will eine Gesellschaft kulturelle Vielfalt und Persönlichkeitsrechte unter ­einen Hut bringen, das zeigt Cinzia Sciuto in ihrem Buch, muss sie zwischen Staat und Religion unterscheiden. Sie muss laizistisch sein. LaizitĂ€t ermöglicht den diversen Spielarten von Religionen und Weltsichten erst, in einer pluralistischen Gesellschaft nebeneinander zu existieren. Sie garantiert auf der einen Seite die Religionsfreiheit, gleichzeitig legt sie jedoch Prinzipien fest, von denen nicht abgewichen werden darf, auch nicht im Namen irgend­einer Gottheit. LaizitĂ€t ist die vorpolitische Voraus­setzung fĂŒr ein ziviles Zusammenleben in einer komplexen Gesellschaft, in dem die Freiheiten und Menschenrechte von allen respektiert werden.Dieser politische Essay in der Art wie die von Carolin Emcke oder Hamed Abdel-Samad zeigt die problematische Kehrseite des Multikulturalismus. Wo Anerkennung und Respekt fĂŒr die IdentitĂ€ten der diversen ethnischen, religiösen und kulturellen Bestandteile einer Gesellschaft eingefordert werden, lĂ€uft man Gefahr zu vergessen, dass jeder Einzelne TrĂ€ger seiner subjektiven Rechte ist und keine Gruppenzugehörigkeit diese ihm streitig machen kann. Cinzia Sciuto stellt die PrioritĂ€ten wieder auf die FĂŒĂŸe: Das Individuum ist TrĂ€ger von IdentitĂ€ten und Zugehörigkeiten, anstatt dass es von seiner Zugehörigkeit definiert wird.

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Informations

Éditeur
Rotpunktverlag
Année
2020
ISBN
9783858698919

1.LaizitÀt als Voraussetzung der Demokratie

»Die moderne Kultur beruht auf dem Prinzip der Freiheit, wonach der Mensch nicht zum Werkzeug seiner Artgenossen herabgewĂŒrdigt werden darf, sondern als selbstĂ€ndiges Lebenszentrum aufgefasst wird.«
Ernesto Rossi, Altiero Spinelli und Eugenio Colorni, Manifest von Ventotene

Laizisten und GlÀubige, ein falscher Gegensatz

Rund um den Begriff der LaizitĂ€t und seine Derivate tobt ein terminologischer Kampf, hinter dem sich ein ideologischer verbirgt. Das Verwenden eines Wortes, den man eine andere, leicht verschobene Bedeutung verleiht, als das GegenĂŒber ihm zuschreibt, ist ein rhetorischer Zug, der genauso verbreitet wie intellektuell unaufrichtig ist. Daher ist es so wichtig klarzustellen, in welcher Bedeutung das Wort LaizitĂ€t hier verwendet wird.
Einer der gelĂ€ufigsten Kniffe, um den Diskurs rund um diesen Begriff zu diskreditieren, besteht darin, die LaizitĂ€t der Religion beziehungsweise der ReligiositĂ€t gegenĂŒberzustellen und »laizistisch« als Gegenteil von »glĂ€ubig« zu verwenden. So werden kĂŒnstlich zwei Fronten geschaffen, die der Glaube voneinander trennt, und die Grundlagen fĂŒr eine endlose Folge von MissverstĂ€ndnissen gelegt.
Stellen wir also klar: Der Widersacher des Laizisten ist nicht der GlĂ€ubige, sondern der Fundamentalist1, und die Trennlinie zwischen diesen beiden Fronten ist nicht der Glaube, sondern der Anspruch, dass das bĂŒrgerliche Zusammenleben gemĂ€ĂŸ den Prinzipien des (eigenen) Glaubens organisiert sein mĂŒsse und dass die Rechte des Einzelnen den Dogmen des (eigenen) Glaubens untergeordnet werden mĂŒssten. Anders gesagt, die ZĂ€sur verlĂ€uft zwischen denen, die die (eigene) Religion ĂŒber jedes andere normative System stellen und verlangen, dass sie erga omnes als absolutes Recht gelte (oder zumindest erga omnes innerhalb der eigenen »Gemeinschaft«2, was, wie noch zu zeigen sein wird, die Probleme nicht löst, sondern neue schafft), und denen, die hingegen innerhalb der Volksgemeinschaft religiöse Normen den Prinzipien der Verfassung und den Regeln unterordnen, die sich eine demokratische Gesellschaft gibt. Letzteres stellt keinen Widerspruch dazu dar, dass ein laizistischer GlĂ€ubiger sein Privatleben persönlich nach den Regeln seiner Religion ausgestaltet und dass diese Regeln in der Rangordnung seiner subjektiven Handlungsmaximen ganz oben stehen. Anders gefasst, fĂŒr den Fundamentalisten ist, ob er glĂ€ubig ist oder nicht, die (eigene) Religion die Grundnorm3 der bĂŒrgerlichen Ordnung, wĂ€hrend fĂŒr den Laizisten, ob er glĂ€ubig ist oder nicht, die Grundnorm der bĂŒrgerlichen Ordnung einen konstitutionellen Pakt darstellt, der die Rechte und Freiheit aller sichert.
Der laizistische Entwurf, so Marcel Gauchet, »steht den weltlichen AnsprĂŒchen der Kirche frontal feindlich gegenĂŒber, nicht jedoch der Religion an sich. Das Einzige, was [er] von den GlĂ€ubigen verlangt, ist, dass sie sich ihre persönliche Hoffnung auf Erlösung fĂŒr das Jenseits aufheben und sich darauf einlassen, im Diesseits das Gesellschaftsspiel der Autonomie mitzuspielen.«4 Gauchet bezieht sich hier auf die katholische Kirche, aber was er sagt, gilt natĂŒrlich fĂŒr sĂ€mtliche Religionen.
Zu unserem GlĂŒck gibt es unter GlĂ€ubigen (aller Religionen) viele Laizisten, genauso wie es im Gegenzug zu unserem Leidwesen in der Welt der NichtglĂ€ubigen von Fundamentalisten nur so wimmelt, also von Personen, die zwar nicht glĂ€ubig sind, aber nichtsdestoweniger die Meinung vertreten, dass das gesellschaftliche Miteinander und das öffentliche Leben in Übereinstimmung mit dem Moral- und Normensystem einer bestimmten kulturellen und religiösen Weltsicht organisiert sein mĂŒsse. Zu dieser letzten Kategorie gehören beispielsweise all jene, die wĂ€hrend der Debatten ĂŒber die europĂ€ische Verfassung, unabhĂ€ngig vom eigenen Glauben, die Meinung vertraten, die »christlichen Wurzeln« mĂŒssten in die Grundrechtecharta der EuropĂ€ischen Union aufgenommen werden. Grundwerte, die in eine Verfassung aufgenommen werden, verfĂŒgen ĂŒber eine gewaltige normative Reichweite. Die christliche Kultur ist mit Sicherheit eine der vielen Wurzeln Europas, aber aus der gesamten FĂŒlle ausgerechnet diesen einen Beitrag auszuwĂ€hlen, hĂ€tte normativen Wert, nicht bloß deskriptiven. Es kĂ€me einer Proklamation gleich, dass Europa sich auf christliche Grundwerte berufen mĂŒsse.
Die LaizitĂ€t ist also keinesfalls der Feind des Glaubens. Im Gegenteil, in einer komplexen Gesellschaft ist die LaizitĂ€t der wertvollste VerbĂŒndete des Glaubens, besser der Glaubensrichtungen. Auch die GlĂ€ubigen, alle, nicht bloß die AnhĂ€nger der großen Konfessionen, profitieren von einem sozialen Kontext, in dem die Religion Privatsache ist und der Staat allen, nicht bloß den verbreitetsten, mĂ€chtigsten, am besten organisierten und reichsten Glaubensrichtungen, die Freiheit zusichert, den eigenen Glauben zu zelebrieren oder auch gar keinem Glauben anzuhĂ€ngen, und zwar indem der Staat, allgemeiner gesprochen, jedem, ganz gleich ob glĂ€ubig, andersglĂ€ubig oder nicht glĂ€ubig, Grundrechte gewĂ€hrleistet – eine Aufgabe, die, wie noch zu zeigen sein wird, den Einflussbereich des Staates nicht einschrĂ€nkt, sondern eher erweitert.
Die Religion in die PrivatsphĂ€re eines und einer jeden zu verlagern bedeutet keinesfalls, dass die kollektive Dimension des Glaubens unmöglich gemacht wird. Vielmehr gehen damit zwei Dinge einher: Erstens dĂŒrfen weder eine bestimmte Religion noch Religionen im Allgemeinen den öffentlichen Raum strukturieren, also den Raum, in dem allgemeine und gemeinsame Regeln gelten, was andernfalls einer Diskriminierung von AndersglĂ€ubigen und NichtglĂ€ubigen gleichkĂ€me. Zweitens darf keiner Religion – wie auch keiner politischen, philosophischen und spirituellen Haltung – zugebilligt werden, die Grundrechte der einzelnen Mitglieder der politischen Gemeinschaft zu verletzen; gemeint sind damit die einzelnen BĂŒrger, ungeachtet ihres Glaubens, einschließlich der Mitglieder der eigenen »Gemeinschaft«.
Die Aufgabe des laizistischen Staates besteht darin, einerseits den öffentlichen Raum und andererseits die Rechte der und des Einzelnen zu schĂŒtzen. Diese Auslegung der LaizitĂ€t erfordert es, dass eine Reihe politischer Maßnahmen ergriffen werden, angefangen bei der Schul- und Kulturpolitik, um diese beiden Ziele zu erreichen. Es geht also fĂŒr den Staat nicht darum, eine bloß gleichgĂŒltige Haltung gegenĂŒber den diversen Konfessionen einzunehmen, genauso wenig darum, eine vermittelnde Schiedsrichterrolle zwischen ihnen zu spielen, sondern vielmehr darum, all jene Voraussetzungen zu garantieren – und es sind nicht wenige –, die es jeder einzelnen BĂŒrgerin und jedem einzelnen BĂŒrger ermöglichen, das eigene Leben und den eigenen Wertehorizont autonom zu gestalten.
LaizitĂ€t wird hier folglich als eine transzendentale Voraussetzung der Demokratie verstanden, nicht als der eine Pol einer Symmetrie, sondern als vorpolitische Notwendigkeit fĂŒr das zivile Zusammenleben in einer komplexen Gesellschaft, in der ein Weber’scher »Polytheismus der Werte« herrscht, ein Hilfsmittel, das »einen konstitutionellen Raum [kennzeichnet], der allen Zusammenleben und Austausch ermöglicht«.5
Unbestreitbar muss der oder die GlĂ€ubige, wenn er oder sie das Prinzip der LaizitĂ€t akzeptiert, in einem gewissen Maß die RelativitĂ€t des eigenen Glaubens anerkennen und auf fast schon kantianische Weise zugestehen, dass der Glaube ein »nur subjektiv zureichend[es 
] FĂŒrwahrhalten«6 darstellt, aber, im Gegensatz zum Wissen, nicht fĂŒr alle unwiderlegbar ist. Dieses ZugestĂ€ndnis ist vollkommen kompatibel mit einem starken Glauben: »Der Ausdruck des Glaubens ist [
] ein Ausdruck der Bescheidenheit in objectiver Absicht, aber doch zugleich der Festigkeit des Zutrauens in subjectiver.«7 Einen laizistischen Standpunkt einzunehmen bedeutet fĂŒr eine GlĂ€ubige oder einen GlĂ€ubigen demnach nicht, den eigenen Glauben in Zweifel ziehen zu mĂŒssen, sondern vielmehr das Akzeptieren der Vorstellung, dass er, da er kein objektiv gĂŒltiges FĂŒrwahrhalten ist, nicht der Maßstab fĂŒr das öffentliche Leben sein kann.

LaizitÀt und SÀkularisierung, nicht nur im Westen

Ein weiteres MissverstÀndnis, das es auszurÀumen gilt, erachtet die LaizitÀt als einen rein westlichen Wert und betreibt den in ihrem Namen ausgefochtenen Kampf als eine Art Fortsetzung des Kolonialismus mit anderen Mitteln. Die Frage nach dem VerhÀltnis zwischen politischer Macht und Religion, zwischen religiöser Gemeinschaft und politischer Gemeinschaft, also die Frage der LaizitÀt ist, ganz im Gegenteil, keine PrÀrogative des Westens, sondern so etwas wie ein universaler Topos in der Menschheitsgeschichte. Es handelt sich um eine Fragestellung, mit der sich etwa auch die muslimische Gesellschaft seit dem Tode Mohammeds auseinandergesetzt hat.
In seinem Essay L’Islam est-il hostile Ă  la laĂŻcitĂ©?8 erklĂ€rt Abdou Filali-Ansary, dass der Ablösungsprozess zwischen politischer Macht und religiöser SphĂ€re nach der ersten Phase des Kalifats in Gang gekommen ist, als das ottomanische Reich sich ausdehnte und ein gewisser Grad an BĂŒrokratisierung des gesellschaftlichen Lebens notwendig wurde. Dieser Prozess stellte sich als die wesentliche Trennscheide fĂŒr die nachfolgenden Aufteilungserscheinungen innerhalb der muslimischen Welt heraus, wobei diese Ablösung von dem BedĂŒrfnis ausging, die religiöse SphĂ€re vor den VorstĂ¶ĂŸen der politischen Macht zu schĂŒtzen. Dieser von Filali-Ansary so benannte »mittelalterliche Kompromiss«9 ermöglichte es nĂ€mlich, der Schiedsgewalt der politischen Macht den in der Religion ruhenden Kern von moralischen Regeln zu entziehen. Es handelte sich bei diesem Kompromiss um eine Art Gleichgewicht, das der Zivilgesellschaft einen Grad an Autonomie gegenĂŒber den politischen AutoritĂ€ten einrĂ€umte, die ihrerseits als legitim anerkannt wurden, solange sie sich nicht an besagtem Kern von Grundprinzipien vergriffen.10
Es handelt sich dabei freilich um eine Entwicklung mit Eigenheiten, auf die hier nicht nĂ€her eingegangen werden kann. UnabhĂ€ngig von den spezifischen Formen, die dieser Prozess in der muslimischen Welt angenommen hat (und je nach nationalem Kontext mit großen Unterschieden),11 muss fĂŒr unseren Zusammenhang hervorgehoben werden, dass die komplexen Beziehungen zwischen Religion und politischer Macht sich stets im Zentrum der muslimischen Geschichte befanden. Keinesfalls war das bloß dem Abendland und genauso wenig dem Christentum vorbehalten.
UnabhĂ€ngig davon fand auch in Europa die SĂ€kularisierung zu unterschiedlichen Zeiten und auf unterschiedliche Weise statt. Besondere Differenzen bestanden zwischen den katholisch geprĂ€gten und den protestantischen Staaten. Selbst in dem Land, das heute gleichsam emblematisch fĂŒr LaizitĂ€t steht, in Frankreich, hat sich der Prozess, der zur Trennung von Staat und Kirche fĂŒhrte, weder schmerzfrei noch besonders schnell vollzogen. »Ein Jahrhundert hat es gedauert«, schreibt Gauchet, »bevor das Prinzip dieser Trennung und die Werte des demokratischen Individualismus bei den GlĂ€ubigen ankommen konnten.«12
Auf der Analyseebene muss man allerdings die SĂ€kularisierung, also den historischen Prozess der Trennung von politischer Macht und religiöser Macht – einen Prozess, der wie gesagt mehr oder weniger ĂŒberall mit unterschiedlichen AusprĂ€gungen je nach soziopolitischem Kontext stattfindet –, von der LaizitĂ€t als politischem Prinzip abgrenzen. FĂŒr Roy sind die Parameter, an denen beide PhĂ€nomene gemessen werden können, einerseits die Trennung von Kirche und Staat, woran sich der Grad der SĂ€kularisierung ablesen lĂ€sst, und andererseits der Stellenwert, den die Religion in der Gesellschaft innehat, was das Maß an LaizitĂ€t verdeutlicht.13
Akzeptiert man diese Unterscheidung, kann man sich ohne weiteres einen Staat vorstellen, der sĂ€kularisiert ist, aber nicht zur GĂ€nze laizistisch. Als Beispiel sei auf die Vereinigten Staaten von Amerika verwiesen, ein vollkommen sĂ€kularisiertes, jedoch kaum laizistisches Land, in dem das öffentliche Leben reichlich von Religion durchsetzt ist, obwohl die Macht nicht bei religiösen Institutionen liegt. Allerdings gibt es Beispiele dieser Art in HĂŒlle und FĂŒlle und man kann mit Fug und Recht behaupten, dass so gut wie alle europĂ€ischen LĂ€nder sĂ€kularisiert sind, auch wenn nur wenige, wenn ĂŒberhaupt welche, sich vollendet laizistisch nennen dĂŒrfen.
Vor diesem Hintergrund scheint auch Gauchets These vom »Austritt der Welt aus der Religion« nicht uneingeschrĂ€nkt nachvollziehbar. Der Autor von Le dĂ©senchantement du monde14 liest die Geschichte des VerhĂ€ltnisses von Staat und Kirche unter den Vorzeichen eines sĂ€kularen Aufeinandertreffens der »Partei der Autonomie« und der »Partei der Heteronomie«. Er vertritt dabei die Meinung, dass erstere, mit anderen Worten die Demokratie, metaphysisch betrachtet gewonnen habe, wĂ€hrend ihre Gegenspielerin, verkörpert im Versuch der Religionen, das politische und gesellschaftliche Leben der gesamten Gemeinschaft zu strukturieren, im Grunde gescheitert sei. Die Folge dieses vermeintlichen Triumphs der Demokratie bestehe jedoch im Sinnverlust der Demokratie. Sei der »Feind« erst einmal beseitigt, verliere der laizistische Staat seine AutoritĂ€t. Ihm fehle ein »metaphysischer« Entwurf, eine »umfassende Sinndoktrin«, die er der Partei der Heteronomie entgegensetzen könne. Gauchet beschreibt diese Phase als den »letzten theologisch-politischen Umschwung der Moderne«.15 Von diesem Standpunkt aus betrachtet, hĂ€tte die berĂŒchtigte und immer wieder heraufbeschworene »RĂŒckkehr der Religionen«16 laut Gauchet rein gar nichts mit ihrer FĂ€higkeit zu tun, die politische Struktur zu formen, sondern wĂ€re vielmehr eine Folge des Austritts der Welt aus der Religion. Dieser Zustand bewirke nĂ€mlich, dass die Religio...

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